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Wir Tiere: Roman (German Edition)

Wir Tiere: Roman (German Edition)

Titel: Wir Tiere: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Torres
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abgesetzt hatte. Der Motor hatte einfach den Geist aufgegeben, mitten im Regen auf dem Highway. Paps hatte immer wieder aufs Lenkrad gehämmert, sein Faustweinen, hatte auf Englisch, dann auf Spanisch geflucht, dann hatte er den Kopf einfach auf die Hände sinken lassen, lange nichts gesagt, sich die Augen gerieben und tief Luft geholt. Nach einer Weile suchte er herum und fand auf dem Boden des Wagens ein paar Plastiktüten. Er band sie uns um die Köpfe, und wir stiegen sehr vorsichtig aus und gingen den Seitenstreifen entlang, wurden vom Spritzwasser der Sattelschlepper durchnässt, bis endlich jemand, eine Frau, anhielt und uns mitnahm.
    Nachdem wir eingestiegen waren und Paps ihr mehrmals gedankt hatte, drehte er sich um und sagte zu uns: »Morgen. Morgen gehe ich zum Autohändler, und wir kriegen ein neues Auto.«
    Wir glaubten ihm nicht, aber die Frau schon; sie hielt das für eine gute Idee, und sie reckte den Hals und blickte in den Rückspiegel, um zu sehen, welche Gesichter wir machten.
    Am Morgen aber willigte Ma ein: Wir bekamen tatsächlich ein neues Auto, sofort.
    Jetzt warteten wir auf dem vorderen Rasen. Manny hatte ein Fernglas aus Plastik, Joel hockte oben im Baum und log uns was vor, er könne bis zum Autohändler sehen. Ein Pick-up bog um die Ecke, und Manny flüsterte: »Da ist er.« Er sagte das so leise und deutlich, dass wir wussten, jetzt verarschte er uns nicht, also rannten wir los, zogen uns gegenseitig an den Ärmeln, stolperten übermütig.
    Als Paps uns kommen sah, fing er an zu feiern, er rief und johlte, aber er hatte die Fenster zu, also hörten wir nicht, was er sagte; wir schauten nur zu, wie die Adern an seinem Hals anschwollen und sein Mund auf- und zuklappte wie bei einer Marionette. Er bremste ab, bis der Wagen nur noch kroch, rollte die Seitenscheibe herunter, und wir liefen nebenher.
    »Also, Jungs«, sagte er, »lernt das neue Familienmitglied kennen.«
    »Niemals!«, kreischten wir. Ein paar Kinder aus der Nachbarschaft schlossen sich uns an. Unser Vater kroch weiter im Schneckentempo auf das Haus zu, strahlte stolz, und wir Kinder umringten den Pick-up und sprangen wie schlecht erzogene Hunde an ihm hoch, um einen Blick ins Innere zu erhaschen.
    Als Paps den Motor abstellte und zur Wagentür hinaus auf die geschotterte Einfahrt glitt, untersuchten schon mindestens ein halbes Dutzend Kinder das Auto, kletterten auf die Ladefläche, klappten das Handschuhfach auf, fuhren mit den Händen über das Leder.
    Der Pick-up war kobaltblau, hatte eine Sitzbank und einen dünnen, über einen halben Meter langen Schaltknüppel, der aus dem Boden ragte. Alles war schnittig und neu, das dicke schwarze Gummi der Reifen und das blitzende Chrom der Stoßstangen. Die mächtigen Seitenspiegel standen ab wie Elefantenohren. In unserem Block gab es sieben weitere Pick-ups, aber unserer war der fieseste. Sofort fingen meine Brüder und ich an, die anderen Kinder herumzuscheuchen. »Nimm deine Fettfinger von der Scheibe«, sagten wir. »Nur wir Jungs dürfen auf den Fahrersitz.«
    Ma kam aus dem Haus und stand auf der Treppe, sie wirkte müde und angesäuert. Ihre Augen waren rot, die Lippen fest zusammengepresst, fast nach innen gezogen. In der Hand hielt sie ihre Arbeitsschuhe, dann ließ sie sie vor sich fallen und setzte sich auf die erste Stufe.
    »Und, Mami?«, fragte Paps.
    »Wie viele Sitze hat er?«, sagte sie, nahm einen Schuh und zerrte am Schnürsenkel.
    »Das ist ein Pick-up«, murmelte Paps. »Der hat keine Sitze, der hat eine Bank.«
    Ma lächelte den Schuh böse an, sie blickte nicht auf, sah nichts anderes an als den Schuh. »Wie viele Sicherheitsgurte?«
    Die Nachbarskinder kletterten aus dem Wagen und schlichen davon, und all die Aufregung verschwand mit ihnen wie Wasser bei Ebbe.
    »Was bist du denn so?«
    »Ich?«, fragte Ma und wiederholte dann die Frage: »Ich? Ich? Ich ?« Jedes Ich war lauter und wütender als das vorige. »Wie viele Kinder hast du, verdammt? Wie viele Kinder und eine Frau, und wie viel Geld verdienst du? Wie viel verdienst du, um diesen Pick-up abzuzahlen, wenn du den ganzen Tag auf dem Hintern hockst? Dieser Scheiß-Pick-up hat noch nicht mal genug Sicherheitsgurte für deine Familie.« Sie spuckte in Richtung der Einfahrt. »Dieser beschissene Monsterpimmel-Pick-up.«
    Paps tat einen großen Schritt auf sie zu und gab ihr eine Ohrfeige, doch Ma schrie ihn weiter an, direkt ins Gesicht: »Monsterpimmel-Pick-up! Monsterpimmel-Pick-up!« Hals und Wangen

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