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Wir Tiere: Roman (German Edition)

Wir Tiere: Roman (German Edition)

Titel: Wir Tiere: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Torres
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keiner antwortete mir.
    »Scheiße, ja«, sagte Joel. »Wir hätten ihr den Schädel aufschlagen sollen. Wir hätten ihr Gehirn rauslöffeln sollen und die Stücke an die Enten verfüttern.«
    »Welche Frau?«
    »Hör sich mal einer dieses Baby an«, sagte Joel zu Manny. » Welche Frau ? Wir haben den ganzen Tag nur zwei Frauen gesehen, die auf der Brücke und Ma. Oder zählst du dich mit?«
    Manny lachte. »Ist doch egal, wer, der Punkt ist derselbe. Die Enten fressen kein Gehirn.«
    »Klar tun sie das. Warum denn nicht, wenn sie hungrig sind?«
    Ich versuchte, nicht zuzuhören. Ich fragte mich, ob jemand vorbeikommen und den Baum verbinden würde, den wir abgebrochen hatten, ein Parkwächter oder eine Art Doktor, der sich mit Adern und Wurzeln auskannte, jemand, der ihn wieder zusammenflicken konnte.
    »Davon werden die krank und sterben.«
    »Habt ihr euch die hässlichen Dinger angeschaut? Also, mir kamen die wie sauhungrige Enten vor.«
    Manny blieb am Laternenmast stehen und drehte sich um. Er hatte die Arme verschränkt und den Kopf zur Seite gelegt – also verschränkte Joel ebenfalls die Arme und legte seinen Kopf auch zur Seite.
    »Ich sag dir das jetzt«, erklärte Manny, »die Enten sind zu klug, um das Gehirn von dieser Schlampe zu fressen.«

Graben
    W ir wachten auf und hörten Paps hinter dem Haus ächzen, keuchen, mit der Schaufel hacken. Wir drückten das Fenster im ersten Stock auf und lehnten uns schläfrig und verwirrt in den frühen Morgenhimmel hinaus, noch immer in Unterhosen, und unsere Haut hatte einen Ton von dunkler Sommerbräune. Wenn Paps aufgeblickt hätte, dann wären wir ihm wie ein Tier mit drei Oberkörpern vorgekommen, aber er blickte nicht auf, und wir riefen nicht hinunter.
    In den letzten paar Wochen hatten wir uns aus einer Kiste mit abgelegten Sachen, die Ma von der Arbeit heimgebracht hatte, mit Tarnkleidung versorgt. Jemand war gestorben, einer von der Armee. Wir schnitten die Ärmel und die langen Hemdenschöße ab; wir trugen Cargoshorts als lange Hosen. Wir banden alles mit grünen Leinwandgürteln und Armeeschnallen zusammen. Da waren Käppis und Stirntücher und genau drei olivfarbene Netzoberteile, kleinste Größe, die sich eigentlich eng an den Körper schmiegten, doch wir waren ganz damit bedeckt, und die Ärmellöcher reichten uns bis zur Taille. Die Netzhemden waren uns am liebsten, als ob man gar nichts anhatte.
    Manny schmierte uns eine Daumenspitze Schuhcreme unter die Augen, dann traten wir leise zur Tür hinaus, krochen am Haus entlang, glitten unter eine Hecke, Armeespione. In den letzten paar Wochen waren wir im Krieg gewesen.
    »Er schaufelt ein Grab«, flüsterte Joel.
    »Welches Grab?«, fragte ich.
    »Nein«, sagte Manny, »das da ist ein Schützengraben.«
    »Das ist kein Schützengraben«, sagte Joel. »Das ist ein Grab.«
    »Aber von wem denn?«
    »Woher soll ich das denn wissen? Mas Grab wahrscheinlich. Vielleicht auch deins.«
    »Niemals«, sagte ich. »Das ist im Leben nicht mein Grab.«
    Paps buddelte und buddelte schaufelweise Erde. Lehm klebte ihm am schweißigen Rücken und schmierte an Wangen und Stirn. Ächzen, keuchen, hacken. Die Erde wurde in dunklen, kühlen Placken abgetrennt. Er grub schneller und schneller, bis er schließlich die Schaufel beiseiteschleuderte, auf die Knie ging und mit den Händen wühlte. Wir krochen unbemerkt heran, bis wir den wippenden Kopf und die Schultern sahen, während er Erde aus dem Loch warf. Er buddelte, bis er kaum noch Luft bekam und keuchend im Dreck zusammenbrach.
    Wir gingen hin, standen am Rand und linsten in das Loch.
    »Ich komme hier nie mehr raus«, sagte Paps. Die Erde war hinabgerieselt und hatte ihn braun bepudert, bis auf das Blut, das ihm von den Knöcheln und den Fingerspitzen lief, und den roten Mund, der eifrig leckte und Dreck ausspuckte und schwer schnaufte. Ich war nicht sicher, ob er damit meinte, er konnte nicht aus dem Loch heraus, das er gegraben hatte, oder ob er durch einen Tunnel vom Grundstück fliehen wollte, nach China vielleicht.
    Joel musste wohl dasselbe gedacht haben, denn er fragte: »Wo willst du denn hin?« Aber Manny zwickte ihn ins Ohr und schimpfte ihn einen Volldeppen.
    »Helft eurem alten Herrn mal raus, okay?«
    Wir legten uns ins Gras neben dem Loch, packten ihn am Handgelenk und zogen und zerrten, aber er wollte nicht nachgeben. Stattdessen riss er uns zu sich runter und hielt uns da in seinen großen Armen, und wir lachten, schrien und zappelten. Wir traten

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