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Wir toeten nicht jeden

Wir toeten nicht jeden

Titel: Wir toeten nicht jeden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Salem
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einer der beiden Adressen zur anderen. Zwei Stunden später wählte ich Arreguis Handynummer.
    Er war sofort am Apparat, und ich diktierte ihm die E-Mail-Adresse, an die ich alles geschickt hatte.
    »Den Speicherchip verstecke ich gleich noch hinterm Spülkasten, falls die Zipdateien sich nicht öffnen lassen oder ein paar der E-Mails im virtuellen Nirwana verlorengehen. Obwohl … hol ihn dir am besten gleich, der Laden hier kann jeden Moment Konkurs anmelden.«
    »Okay«, erwiderte er und notierte sich Straße und Hausnummer des Internetcafés. »Und jetzt gib mir noch das Passwort für den Account.«
    »H-o-d-e-n-b-r-u-c-h«, buchstabierte ich.
    »Passt wie die Faust aufs Auge«, brummte er. »In der Presse wird’s allerdings nicht besonders geschmackvoll rüberkommen, wenn Beltrán und ich deine FIRMA auffliegen lassen …«
    »Ach, Txema, mach dir bloß keine zu großen Illusionen. Du weißt doch, dass letztlich immer nur ein paar zur Rechenschaft gezogen werden können. So ist es doch immer.«
    »Besser ein paar als gar keiner«, sagte der Kommissar entschieden und räusperte sich dann verlegen. »Und du, Juan? Was hast du jetzt vor?«
    Ich betrachtete eine Weile die vergilbte Ansichtskarte, auf der ein feinsandiger Meeresstrand unter Palmen zu sehen war.
    »Ich denke gerade über den Tod nach, Arregui. Vielleicht ist Sterben gar nicht so übel, wie immer behauptet wird.«
    Und jetzt bin ich hier und blicke auf die Postkartenidylle.
    Sie ist nicht vergilbt, nein, das Meer ist türkisfarben und voller goldener Sonnenreflexe.
    Ich lasse es mir richtig gutgehen auf dieser Insel, deren Name nichts zur Sache tut. Ich gehe spazieren, trinke weißen Rum und sehe den jungen Mädchen zu, wenn sie splitternackt in den Buchten baden. Hier laufen viele nackt herum, aber ich trage meistens eine Badehose, weil ich mich geniere.
    Seit der Geschichte auf dem Campingplatz sind drei Monate vergangen; hierhergereist bin ich allerdings erst vor einer Woche, als ich mir ganz sicher war, dass sich meine Spuren mithilfe diverser Verkleidungen und falscher Pässe ganz verloren hatten.
    Währenddessen ist kaum eine Woche vergangen, in der die europäische Presse nicht mit überraschenden Fakten zu den Machenschaften der FIRMA aufgewartet hat, und so habe ich auch erfahren, dass der unerbittliche Starrichter Gaspar Beltrán zusammen mit mehreren europäischen Kollegen ein grenzüberschreitendes Ermittlungsverfahren eingeleitet hat, um der Hydra ihre vielen Köpfe abzuschlagen.
    Vor Kurzem las ich auf der Internetseite einer spanischen Tageszeitung übrigens auch ein Feature über die Karriere des mehrfach ausgezeichneten Polizeikommissars José María Arregui, der in diesen Tagen in den vorzeitigen Ruhestand geht und dem der König gerade noch irgendeinen Orden verliehen hat.
    Ah, und noch etwas habe ich gelesen. Über den Newsletter einer Literaturzeitschrift hat man mich auf die Sensation des kommenden Weihnachtsgeschäfts aufmerksam gemacht: das Romandebüt eines mysteriösen sizilianischen Autors, der seine wahre Identität hinter einem so offensichtlichen Pseudonym wie Juan Pérez Pérez verbirgt und folglich spanischer Herkunft sein muss. So einen Allerweltsnamen hat nämlich kein Mensch. Nicht einmal mehr ich. Gut möglich, dass ich mir den Roman von Nummer Zwei irgendwann per Internet bestelle, denn vielleicht komme ich sogar darin vor. Und da ich schon mal von Debütromanen spreche: An jenem letzten Tag in Madrid packte ich auch den wattierten Umschlag in meine Reisetasche, den der alte Alberto in meinen Briefkasten gesteckt hatte. Vor ein paar Tagen habe ich den Roman ausgelesen; er gefiel mir ganz gut, auch wenn der Autor ziemlich durchgeknallt sein muss … aber das sind ja eigentlich alle Schriftsteller. Jedenfalls gab es in dem Roman eine Figur, deren Wahlspruch ein Satz war, der mir seither nicht mehr aus dem Kopf geht: Ein Soldat, der flieht, taugt noch für einen weiteren Krieg . Tja, und den setze ich gerade in die Tat um. Bloß dass ich keine Kriege mehr führen will. Nicht einmal mehr mit mir selbst.
    Deshalb habe ich vorgestern auch Verbindung mit Beltrán aufgenommen. Er hat sich sehr gefreut, meine Stimme zu hören, und mir gleich Straffreiheit zugesichert, falls ich zurückkommen will und als Kronzeuge der Anklage in seinem Prozess auftrete. Ich habe jedoch dankend abgelehnt. Der Grund für meinen Anruf war ein völlig anderer.
    Jetzt fährt der Starrichter an Weihnachten mit Leticia und den Kindern zuerst

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