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Wir toeten nicht jeden

Wir toeten nicht jeden

Titel: Wir toeten nicht jeden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Salem
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Er würde sich um die Verständigung kümmern, meinte er, und ich mich um den richtigen Kurs.
    Tony war klein und von zarter Konstitution. Und er war schüchtern und vollkommen unsportlich. Ich hingegen war groß gewachsen und verwegen, so wie ein Piratenkapitän zu sein hatte. Und in der Schule war ich der Klassenbeste. Meine Schulkameraden akzeptierten ganz selbstverständlich meine Führernatur. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis Soriano, der Stärkste der mit uns rivalisierenden Schule, mich herausforderte.
    Ich antwortete nicht sofort, weil es mir in dem Moment wie Schuppen von den Augen fiel, dass es mir völlig egal war, ob ich mit ihm raufte oder nicht, sein Gesicht vergaß oder ihm den Schädel mit einem Stein zertrümmerte, und das verblüffte mich dermaßen, dass ich ihn nur anstarrte.
    Tony interpretierte mein Zögern jedoch als Angst. Darum baute er sich vor Soriano auf und erklärte ihm, er sei nicht wichtig genug, um mit mir zu kämpfen, weshalb er, Tony, ihn an meiner statt am Nachmittag auf dem unbebauten Gelände hinter der Schule erwarte.
    Zum Einschreiten war es zu spät, ich konnte nur noch die wenigen Schaulustigen, die uns vor dem Schultor umrundeten, mit einer Drohgebärde verscheuchen. Auf dem Heimweg verlor Tony dann kein Wort darüber. Wahrscheinlich wollte er mich nicht beschämen. Und ich schwieg ebenfalls, denn ich war stocksauer auf ihn. Niemand, nicht einmal mein bester Freund, hatte das Recht, einen Piratenkapitän um seine Zweikämpfe zu bringen!
    Aber ich musste ihn retten. Kurz vor der vereinbarten Zeit holte ich deshalb die Augenklappe und die Steinschleuder aus unserem Versteck. Monatelang hatten wir unser Taschengeld für diese Wunderwaffe aus Japan gespart, auf Kino und Süßigkeiten verzichtet, bis wir sie uns leisten konnten. Aber die Schleuder war jeden Cent wert. Sie war aus Edelstahl, mit einer Stütze für den Unterarm und einem speziellen Gummi, das innen hohl war wie der Schlauch eines Stethoskops.
    Auf einer Anhöhe in fünfzig Meter Entfernung zum Kampfplatz legte ich mich damit auf die Lauer und wartete.
    Mein Plan war ganz einfach: Tony hatte zwar nicht die geringste Chance gegen Soriano, aber er würde ihm auf jeden Fall den ersten Fausthieb versetzen. Das gelang ihm immer, denn er war flink wie ein Wiesel. Allerdings war’s das dann aber auch, denn ihm fehlte einfach die nötige Rauflust. Mir ging es im Übrigen genauso: Wenn ich mich in der Pause auf dem Schulhof mit jemandem balgte, geriet ich auch nicht genug in Rage – bloß machte mich das noch gefährlicher. Tony hingegen verlor immer. Doch er würde als Erster zuschlagen, so viel war sicher. Ich würde also warten, bis Soriano auf ihn losging, und dann würde ich auf dessen Hals oder Kopf schießen, worauf er kurz zurücktaumeln würde und mein bester Freund so noch eine zweite Chance bekäme. Das war ich ihm schuldig.
    Sie erschienen fast gleichzeitig, wobei sich Tony unauffällig umsah, als hoffte er insgeheim, dass ich ihm zu Hilfe käme. Wie zwei wütende Kampfstiere senkten der bullige Soriano und der kleine Tony dann die Köpfe, was ziemlich komisch aussah, sodass ich echt an mich halten musste, um nicht prustend loszulachen. Ich zog mir die Klappe übers linke Auge und spannte das Gummi.
    Wie vorherzusehen überraschte Tony seinen Gegner mit einem schwachen Schlag ins Gesicht und einem zweiten in die Rippen. Soriano taumelte kurz, fing sich aber schnell wieder und holte schon aus, als sich Tony noch einmal auf ihn stürzte, statt sich wie gewohnt zu ducken. Ich lockerte kurz meine Muskeln, während die beiden erbittert miteinander rangen. Tony würde jedoch sicher bald schlappmachen.
    Ich zielte also noch einmal, der Stein flog los – und mein Freund ging mit einem Schmerzensschrei zu Boden.
    Während Soriano erschrocken die Beine in die Hand nahm, verscharrte ich hastig die Schleuder, riss mir die Klappe herunter und rannte in einem großen Bogen zu Tony, als käme ich gerade von zu Hause.
    Zusammengerollt lag er im Dreck und hielt sich jammernd die Hand vors linke Auge. Als ich sie ihm behutsam wegzog, sah ich nur eine blutige Masse. Ohne ein Wort zu sagen, stülpte ich ihm die Klappe über das verletzte Auge und brachte ihn auf dem schnellsten Weg ins Krankenhaus.
    Er verlor das Auge. Ich die Klappe des Piratenkapitäns. Und Soriano flog von der Schule.
    Während seiner gesamten Genesung wurde Tony nicht müde, voller Begeisterung zu erzählen, dass er den Zweikampf beinahe gewonnen

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