Wir wollen Freiheit
lieber einen Mann wie ihn im hellen Sommeranzug als einen Scheich mit gefärbten Bart wählen. Er zielt auf die konservativen Muslime, die zuvor eher unpolitisch waren und womöglich das alte System unterstützt haben oder zumindest sich nicht als Opposition verstehen. Sein Parteiprogramm orientiert sich an der türkischen AKP. Er will eine konservative und zugleich westlichen Einflüssen gegenüber aufgeschlossene Partei führen. Und wie wird das in der Praxis aussehen? Wenn er an die Regierung käme, wo würde er die Prinzipien des Islam stärker durchsetzen? »Gebraucht werden Konzepte für die Wirtschaft und die Entwicklung des Landes. Das hat jetzt mit dem Islam und der Scharia nicht so viel zu tun«, sagt er. Was die Gesellschaft angehe, sehe er auch wenig Handlungsbedarf: Im Großen und Ganzen seien die Menschen ja auf dem Weg des Islam. »Selbst in der Kunst und Kultur ist Ägypten eigentlich schon recht im Rahmen dessen, was wir uns vorstellen«, sagt er. Wie viel Freiraum |179| die Kultur im neuen Ägypten bekommt, ob Muslime in Restaurants Alkohol ausgeschenkt bekommen dürfen und welche Rechte Andersdenkende und -gläubige haben sollen, das sind die Fragen, an denen sich die islamischen Gruppierungen unterscheiden. »Vor allem geht es darum, wie solche Vorstellungen dann umgesetzt werden. Ich denke, dass eine Religionspolizei, so wie manche der
Salafisten
sie fordern, in Ägypten nicht durchsetzbar wäre«, sagt Khaled al Safarani. Er selber setze bei Verstößen gegen den »Geschmack des Volkes«, wie er die islamischen Moralvorstellungen nennt, eher auf Zurechtweisung derer, die sich fehlverhalten.
Kaum eine Institution wird in diesem Frühjahr so durchgeschüttelt wie die
Bruderschaft
: Aus der straff geführten Vereinigung wird ein Diskussionsforum. Die Stärke hat immer darin bestanden, dass die Organisation alle Bereiche des Lebens abdeckte und auch viele verschiedene Strömungen in sich vereinigte. Bisher reihten sich alle ein und folgten ihrem »Murshid – Führer«. Erstens, weil das bei den
Muslimbrüdern
schon immer so war – Hassan al Banna hat die Organisation so angelegt – und zweitens, weil die schwere Repression durch den Staat Einheit notwendig machte. Im Islamischen Frühling ist es damit vorbei. Da kann sich die Führung noch so sehr bemühen: Es wird diskutiert und gestritten und wenn die Führung verkündet, dass die
Bruderschaft
keinen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl aufstellt, dann bedeutet das ja noch lange nicht, dass sich alle daran halten. Bereits drei bekannte
Brüder
haben ihre Kandidatur angekündigt. Der erste war Abdel Moneim Abdel Fottouh. Er sorgt mit manchen seiner liberalen Positionen für Aufsehen: So erklärte er, dass er die Regeln für Konversion zwischen den Religionen lockern möchte. Damit spricht er ein Tabu-Thema an. Schließlich ist der Auslöser der Gewaltausbrüche zwischen den Religionen oft ein vorangehender Glaubenswechsel einzelner Gläubiger. Fottouh bekommt Unterstützung von vielen der |180| aufmüpfigen Jungbrüder. Kurz nach ihm erklärt auch der konservative Intellektuelle Selim al Awa seine Absicht zu kandidieren und noch am gleichen Tag meldet Scheich Hazem Abu Ismael seine Kandidaturabsicht an. Der populistische Prediger will – wenn er gewählt werden sollte – die Scharia in Ägypten einführen und den Friedensvertrag mit Israel kündigen. Was könnte stärker den Neuanfang bei den
Muslimbrüdern
belegen als diese drei Abtrünnigen, die in ihren Vorstellungen davon, was den politischen Islam ausmacht, kaum unterschiedlicher sein könnten.
Die erste Reaktion des Führers auf den »Ungehorsam« der
Brüder
ist, dass er alle ausschließt, die eigene politische Initiativen haben.
Muslimbrüder
dürfen keiner anderen Partei beitreten als der
Freiheits- und Gerechtigkeitspartei
. Bleibt Mohammed Badia bei diesem harten Kurs, droht die
Bruderschaft
zu zerfallen und zurück bliebe nur ein harter Kern aufrechter Gefolgsleute. Lässt er die anders orientierten
Brüder
gewähren, entsteht ebenfalls etwas Neues, denn dann wird aus dem straff organisierten Männerbund eine pluralistische Vereinigung.
Woher kommen bloß die vielen
Salafisten
?
Turbulent geht es auch bei den
Salafisten
zu. Sie sind die Bewegung, über die in diesem Frühjahr am meisten gesprochen wird. Ihre Art, die neugewonnene Freiheit zu nutzen, bringt viele Ägypter auf: So demonstrieren sie gegen den koptischen Papst und ziehen zur Kathedrale von Abbassia. Am
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