Wir wollen Freiheit
ihrer Rolle in der Gesellschaft keine populistische Hetze auslässt. Je stärker sich die politische Landschaft herausbildet, desto deutlicher wird dies. Es ist leichter zu hetzen, als Gesetzesentwürfe zu erarbeiten, und so wird Scheich Assem Abu Maged beispielsweise zum Wortführer einer Kampagne gegen den christlichen Unternehmer und Politiker Naguib Sawiris.
Die große Stunde der frisch aus dem Gefängnis entlassenen ehemals Militanten kommt, als am 2. Mai Usama Bin Laden getötet wird. Die Medien stürzen sich förmlich auf die Langbärte. Schließlich waren viele von ihnen Weggefährten. Einhellig erklären sie den Dschihad für beendet. Die Revolutionen in der Arabischen Welt, welche die Diktatoren von |172| Ägypten und Tunesien gestürzt hätten, zeigten, dass es effektivere Wege gebe, die Arabische Welt zu befreien, so Abed Zumor vom
Dschihad
zur Nachrichtenagentur AFP: »Es sind neue Methoden aufgekommen, die Regierenden zur Rechenschaft zu ziehen und dies hat den Rückhalt und die Notwendigkeit für den bewaffneten Kampf reduziert«, sagt er.
Gamaat al Islamia
-Führer Osama Hafez, dessen Nichte mit einem Sohn Bin Ladens verheiratet ist, sieht das ähnlich. Usama Bin Laden sei zwar als Märtyrer zu verehren, da er viel für den Islam getan habe. Allerdings seien seine Methoden falsch gewesen. Hafez fordert die neue Führung der
Al Kaida
auf, der Gewalt abzuschwören.
Unwahrscheinlich, dass der neue Führer Eiman al Sawahiri die gutgemeinten Ratschläge seiner ehemaligen Kampfgenossen annehmen wird. Doch er wird sich etwas einfallen lassen müssen, um seine Anhänger bei der Stange zu halten und neue zu gewinnen. Ein Scheitern des Arabischen Frühlings, ein Verdorren der Hoffnung auf Freiheit durch die brutalen Methoden der Diktatoren zwischen Bahrain, Libyen und Syrien kämen ihm in dieser Phase der Neuorientierung sicherlich am besten zupass. Ganz besonders, wenn er dem Westen die Schuld dafür in die Schuhe schieben könnte.
Wie stark sind die
Muslimbrüder
?
In den Tagen nach der Revolution tauchen überall im Land stolze Banner auf: Bei uns am Einkaufszentrum hing beispielsweise eine Einladung zur Versammlung. Organisiert von der
Muslimbruderschaft
, Ortsgruppe Maadi. Bärtige, die zuvor eher bemüht unauffällig die Straße entlanggingen, tragen den Kopf hoch. Zum ersten Mal können sie offen sagen: Ich gehöre dazu! Aus allen Ecken, so scheint es, kommen sie heraus. Viele liberale Muslime und Christen empfinden dies |173| als Bedrohung. Es scheint sich zu bewahrheiten, was die alte Regierung immer gesagt hat: Wenn wir gehen, dann übernehmen die Islamisten. Was die Menschen zusätzlich misstrauisch macht: Die
Brüder
widersprechen sich. Manche sprechen sich für mehr Rechte für Frauen und Christen aus. Andere fordern einen islamischen Staat und die Anwendung der Scharia.
Ahmed Akil von der Jugendorganisation hält die Unstimmigkeit für die beste Nachricht des Frühjahrs: »Zum ersten Mal seit der Gründung der
Bruderschaft
gibt es jetzt eine offene Diskussion«, sagt er. »Unsere Haltung zu den Frauen und zur Demokratie wurde bisher in engen Führungszirkeln verhandelt, aber jetzt gibt es eine offene Debatte. Das ist eine große Chance!« Bisher gab es nur vage Papiere und auch die Grundsatzerklärung von 2008 lässt viel Platz für Interpretation. »Jetzt müssen wir unsere Ziele formulieren und wir müssen sie offenlegen. Wir können uns nicht mehr hinter schwammigen Formulierungen zurückziehen, die es allen recht machen, sondern müssen Stellung beziehen«, sagt er. Allerdings ist dies eine schwierige Aufgabe, denn die
Bruderschaft
vereint viele verschiedene Strömungen und Denkrichtungen.
Ahmed Akil und die anderen Jungen, die sich an der Revolution beteiligt haben, fordern mehr Mitspracherecht. »Wir wollen Transparenz: Wir wollen endlich wissen, wer bei uns Mitglied ist und wo eigentlich das Geld herkommt«, sagt er. Im Frühjahr 2011 ist von einer Revolution der Jugend innerhalb der
Bruderschaft
die Rede. »Wir, die Jugend der
Muslimbrüder,
wurden ausgeschlossen und gefesselt. Uns traute man keine Meinung und keine Entscheidung zu. Die Älteren hielten uns für verletzlich und leicht zu manipulieren … aber jetzt, nach dem, was auf dem Tahrir-Platz passiert ist, sehen sie, was die Jungen machen konnten und die Älteren nicht«, schreibt Osama al Dura in seinem Buch »Von der
Muslimbruderschaft
zum Tahrir-Platz«, das zwei Monate nach Mubaraks |174| Sturz veröffentlicht wird
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