Wir wollen Freiheit
und für große Aufregung sorgt. Der 2 7-jährige Buchhalter, der während seines Studiums zur
Bruderschaft
gekommen war, rechnet darin mit der Organisation ab und erklärt seinen Austritt. Bisher war es nicht üblich, dass
Brüder
unter Protest austreten, und öffentliche Kritik war unerwünscht.
Die ältere Generation hat allerdings andere Prioritäten, als sich mit der aufmüpfigen Jugend herumzustreiten. Schnell werden Kontakte zur Militärführung geknüpft. Dass ein Muslimbruder von den Generälen in die Kommission berufen wird, welche die Verfassungsänderungen vorbereitet, gilt als Zeichen der Anerkennung. Die
Brüder
werfen ihr Gewicht in die Waagschale, um gemeinsam mit der neuen Regierung möglichst schnell zur Normalität zurückzufinden. Sie rufen ihre Anhänger auf, bei dem Referendum im März für die veränderte Verfassung zu stimmen. Sie verurteilen die Proteste der Liberalen und drängen darauf, den Fahrplan des Militärs – erst Wahlen, dann die Verfassung – einzuhalten. Die jungen
Brüder
beteiligen sich trotzdem weiter an den Demonstrationen der Jugend der Revolution.
Im April 2011 tagt zum ersten Mal seit 15 Jahren der »Maglis al Schura – Beratungsrat« der
Bruderschaft
. Es ist eine öffentliche Tagung und anschließend gibt es sogar eine Pressekonferenz. So etwas hat es noch nie gegeben. Bei der Tagung wird die Gründung der »Partei für Freiheit und Gerechtigkeit« bekannt gegeben, ebenso wie die Namen der Führungsfiguren dieser Partei. Essam al Erian ist dabei und Saad Ketatni. Parteivorsitzender soll allerdings Mohammed Mursi werden. Er gilt als bürokratischer Betonkopf, der für die neuen Erfahrungen der jungen
Brüder
, die inzwischen gemeinsame Projekte mit den Jugendlichen anderer Richtungen planen, wenig Verständnis hat. Diese Ernennung empfinden viele als weitere Ausgrenzung der Jugend. Die nächste folgt im Juni: Da laden die jungen
Brüder
zu einer |175| Konferenz ein, welche Brücken bauen soll. Sie wird von der alten Generation boykottiert.
Außer dem Generationenkonflikt ist die Gründung der Partei der zweite große Faktor, der die
Bruderschaft
erschüttert. Der Schritt ist nicht unumstritten, denn viele fürchten, dass die Politik die Religion korrumpiert und die Inhalte des Glaubens verwässert. Zudem wird ganz deutlich, dass der Charakter der
Bruderschaft
, für das ganze Spektrum islamischer Richtungen offen zu sein, durch die Parteiengründung zerstört wird. Die Spaltung in verschiedene Lager tritt bei der Diskussion über das Parteiprogramm offen zutage.
Was will die Partei und wie islamisch ist sie? Die
Freiheits- und Gerechtigkeitspartei
unterliegt dem Parteiengesetz und darf schon deswegen keine religiöse Ausrichtung haben. Sie verfolgt daher eher allgemeine Entwicklungsziele, will den Aufbau des Landes und seiner Institutionen vorantreiben. Sie will den »Charakter des Landes« schützen. Damit ist Artikel 2 der Verfassung gemeint. »Unser Streben ist darauf gerichtet, alles zum Gefallen Gottes zu tun. Das höchste Ziel ist, die »Umma – Gemeinschaft der Gläubigen« wiederzubeleben. Dazu wollen wir unser Leben, unsere Familie, unser Haus, unsere Gesellschaft und auch unsere Regierung nach den Geboten Gottes ausrichten«, sagt Khairat al Schater, ein führender Bruder, bei einer großen Frauenkonferenz Anfang Juli und erntet viel Beifall. Aber das bedeutet doch, dass sie einen islamischen Staat errichten wollen, oder? »Nein, wir wollen nicht von Geistlichen regiert werden, aber wir wollen, dass der Herrscher den Geboten Gottes gehorcht und die Scharia umsetzt«, erläutert die 1 8-jährige Aktivistin Gihad Khaled.
Gerechtigkeit sei für sie das wichtigste Prinzip, sagt Khaled. »Wir glauben daran, dass Gott der Maßstab der Gerechtigkeit ist und stellen daher die Menschenrechte, wie sie der Islam definiert, über die der UNO.« Beide Definitionen decken sich weitgehend, allerdings nicht, wenn es um Frauen und |176| Minderheiten geht. »Frauen haben nach islamischem Recht doch viel mehr Rechte als nach westlichen Vorstellungen«, sagt Manal Abu Hassan. Sie hat bei den Wahlen 2011 kandidiert und ist seit Neuestem Frauenführerin der
Bruderschaft
für Großkairo. So haben Frauen vor allem das Recht darauf, wegen ihrer verletzlichen Natur beschützt zu werden. Sie sollen deswegen auch nicht in allen Funktionen im öffentlichen Leben auftreten. Anders als
Salafisten
und
Gamaat al Islamia
fördern die
Muslimbrüder
Berufstätigkeit und
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