Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)
Netzpolitik schon lange für den Parteitag gesetzt worden sei. Und es stimmt, dass die Grünen sich schon früher als andere mit dem Internet beschäftigt haben. Auch wenn keiner die Geschichten vergessen hat, wie Ende der achtziger Jahre einige Pioniere mit der technikskeptischen Parteibasis ringen mussten, bis die Bundestagsfraktion Computer bekam.
Dennoch, Netzaktivisten waren begeistert – das Positionspapier, das auf dem Bundesparteitag beschlossen wurde, wurde durchweg als progressiv und offen gelobt. Vielmehr: Es holte die Netzpolitik endgültig raus aus der Nerd-Ecke, wo sie lange Jahre vor sich hingammelte. Oder, wie es der grüne Berliner Netzaktivist Tobias Schwarz mir gegenüber formulierte: «Wir haben es mit unseren Themen immerhin inzwischen auf den Parteitagen von Sonntagnachmittag auf Samstagabend geschafft.»
Aber gleichzeitig gibt es bei den Grünen auch Stimmen wie die der kulturpolitischen Sprecherin Agnes Krumwiede, die sich auf die Seite jener Urheber und Verwerter stellt, die fürchten, das Internet gefährde ihre Arbeitsgrundlage. «Wir sind die Partei von Böll und Beuys», mahnte sie auf dem Parteitag in Kiel, als es um eine geplante Verkürzung der Schutzfristen für das Urheberrecht ging. Die Netzaktivisten innerhalb der Partei seien über das Ziel hinausgeschossen. Mit einem Beitrag in der
FAZ
unter der Überschrift «Die Gema und die Gier der Internetgiganten» ergriff sie im Streit zwischen Youtube und Gema Partei für den Verwerter und warf dem Videodienst eine Kampagne vor. Ihre Rhetorik ist dabei bisweilen scharf: In einem Beitrag in der
taz
unterstellt sie etwa einer «anonymen Masse» im Internet «Verbalangriffe» auf das Urheberrecht, um zu konstatieren: «Das Internet hat keinen Intellekt, keine Fantasie, keinen künstlerischen Instinkt.»
Den Netzaktivisten in der Partei war das natürlich ziemlich peinlich. Tobias Schwarz zum Beispiel warf Krumwiede in seinem Blog «Gier nach keiner Veränderung» vor, und schrieb: «In einem ungehobelten Rundumschlag stellte sie VordenkerInnen und AktivistInnen einer digitalen Gesellschaft unter den Generalverdacht, von Google gekauft zu sein.» Er unterstellt ihr ein «breites Unverständnis für den digitalen Wandel» und distanziert sich von den Aussagen seiner kulturpolitischen Sprecherin.
Dennoch sagt er heute: «Es ist ein Vorteil der Grünen, dass wir auch Künstler in der Partei haben, so können wir einen großen gesellschaftlichen Konflikt in kleiner Runde diskutieren.» Er selbst empfinde es durchaus als Bereicherung, wenn ihm Urheber auf die Finger klopften und sagten: «Du gehst hier an sehr persönliche Rechte von mir ran.» Eine Sichtweise, die zum Beispiel die Piraten vermissen lassen.
Auch für die SPD wurden piratige Themen auf einmal ganz konkret: Sie diskutierte heftig über die Vorratsdatenspeicherung, also das Speichern persönlicher Daten durch den Staat auch ohne einen Anfangsverdacht – ein Thema, das sich allein wegen der sperrigen Begrifflichkeiten eigentlich so gar nicht massentauglich anhört. Die Partei ist in der Frage recht gespalten: Die einen, unterstützt zum Beispiel von SPD -Chef Sigmar Gabriel, finden das Speichern von Daten grundsätzlich o.k. – solange es einen konkreten Anlass gibt und die Daten nicht allzu lange gespeichert werden. Die anderen wollen, dass die Partei sich grundsätzlich gegen die Vorratsdatenspeicherung ausspricht. Beim Parteitag ging der Disput zugunsten der Vorratsdatenspeicherung aus – zwar nur unter strengen Auflagen, aber trotzdem.
Doch die Gegner der Vorratsdatenspeicherung waren enttäuscht und wollten sich noch nicht geschlagen geben: Junge SPD -Politiker unter der Führung von Dennis Morhardt und Yasmina Banaszczuk initiierten eine Mitgliederbefragung und organisierten Diskussionsveranstaltungen mit der SPD -Führung und unabhängigen Experten. Parteichef Sigmar Gabriel stellte sich Kritikern der Vorratsdatenspeicherung bei Twitter. Letztendlich verfehlten Banaszczuk und ihre Mitstreiter zwar das Quorum, aber immerhin, die Diskussion war da.
«Wir sind da schon sehr naiv rangegangen», erinnert sich Banaszczuk. «Wir hatten kein Projektteam und keine finanziellen Mittel.» Die Diskussion sei zuweilen sehr emotional gewesen, was die Parteivorderen überrascht habe. «Ich denke, dass die Parteiführung da schon einmal gemerkt hat, dass das Netz irgendwie eine ganz andere Welt ist.» Auch sie beobachtet, dass sich inzwischen mehr und mehr Leute für digitale Themen
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