Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)
interessieren – und das Bewusstsein durchsickert, dass sich in Zeiten des Internets die Kommunikation ändert.
Yasmina Banaszczuk macht dafür allerdings weniger die Piraten verantwortlich als den Obama-Wahlkampf. «In Sachen Datenanalyse und Social Media hinkt Deutschland schon gewaltig hinterher», sagt sie. Noch bei der Bundestagswahl 2009 hätten viele Politiker im Netz einfach irgendwie drauflos gemacht. Inzwischen sei das anders. Auch Tobias Schwarz sagt: «Bis vor kurzem haben viele Leute in den Parteien den Netzpolitikern geraten, sich doch ein anderes, prestigeträchtigeres Thema zu suchen.»
Was bei den etablierten Parteien zu mitunter sehr schmerzhaften Prozessen führt, ist bei den Piraten kein großes Streitthema. Die sonst so diskussionsfreudige Partei ist sich bei Vorratsdatenspeicherung, Urheberrecht und digitalem Wandel ziemlich einig. Und die etablierten Parteien sind deswegen immer noch ein wenig ratlos. Wie soll man den Neuen begegnen? Denn auch wenn die Piraten sich in albernen Streitereien verwickeln, mit ihrem Programm nicht so recht vorwärtskommen, sich in Widersprüche verstricken – ihr plötzlicher Erfolg zeigt, dass in der Politik bisher etwas gefehlt hat. So schreibt etwa Volker Zastrow in der
Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung
als Antwort auf die Frage «Wofür brauchen wir die Piraten eigentlich?» nüchtern und zutreffend: «Spielt keine Rolle. Es ist egal […] Eine Partei benötigt kein inhaltlich begründetes Existenzrecht. Was sie braucht, sind Wähler. Und wenn sie genügend Wähler hat, dann wird sie selbst auch gebraucht.»
Wer sind sie also, die Wähler der Piraten, die die anderen Parteien natürlich ganz gerne wieder für sich hätten? Die wichtigste Erkenntnis geht weit über einzelne Politikfelder und ein bisschen mehr Internet hinaus: Die Piraten haben nicht nur neue Themen auf der Agenda ganz nach oben geschubst. Noch viel wichtiger ist, dass sie einen Politikstil propagieren, der für viele Wähler interessant ist – ganz besonders für die Jungen, aber nicht nur: Transparenz und Mitbestimmung, eine offene Kommunikation, Misstrauen gegenüber starren Hierarchien und die höchste Priorisierung des digitalen Wandels.
All das muss die etablierten Parteien weit mehr alarmieren als Urheberrecht und Netzsperren allein. Wer die Jungen für sich gewinnen muss, der darf nicht einfach nur ein paar neue Themen ins Parteiprogramm werfen. Er muss tiefe Reformen durchlaufen, um sie einzubinden und sich auf eine Generation einzustellen, die vielleicht weniger laut schreit, als man es früher von jungen Rebellen gewohnt war. Die aber trotzdem ihre eigenen Vorstellungen davon hat, wie Politik aussehen soll.
Wie wir arbeiten (wollen)
Die Wirtschaft hat im Gegensatz zur Politik schon lange erkannt, dass sie sich bewegen muss, wenn sie die Jungen für sich gewinnen will. Klar, ihr sitzt ja auch der demographische Wandel im Nacken. Junge, gesunde Arbeitskräfte werden in Zukunft Mangelware sein. Deshalb können die Firmen nicht auf diese Generation verzichten. Viele von ihnen liefern sich heute schon Wettrennen in der Jagd um Talente. Die Wirtschaft hat uns auch schon ein hübsches Etikett aufgepappt, damit alles seine Ordnung hat: Generation Y heißen diejenigen, die um die Jahrtausendwende herum Teenager waren und jetzt nach und nach in den Arbeitsmarkt treten. Zum einen, weil wir auf die vielgescholtene, hedonistische und unidealistische Generation X folgen. Zum anderen aber auch, so liest man, weil wir bestehende Verhältnisse nicht einfach stillschweigend akzeptieren und adaptieren, sondern sie in Frage stellen: «Why?»
Glaubt man den vielen Personalern, die sich seit unserem Eintritt ins Arbeitsleben mit uns beschäftigt haben, dann haben wir ihnen anfangs ganz schön Probleme gemacht. Die Ärmsten mussten sich komplett umstellen! Viele von ihnen jammern, wir seien egoistisch, um nicht zu sagen faul; gar nicht mehr bereit, für unseren Job das Privatleben zu opfern. Außerdem seien wir verwöhnt von unseren vor lauter Elternliebe völlig verblödeten Müttern und Vätern, die uns mit individueller Frühförderung, Nachhilfestunden, Theaterunterricht und anderem kreativen Gedöns für ein geregeltes Arbeitsleben in festen Hierarchien völlig verdorben hätten. Wir würden uns deswegen viel zu schnell langweilen, uns über zu viel Routine beschweren und ständig dieses lästige neumodische «Feedback» einfordern – und dann auch noch widersprechen, wenn uns die
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