Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)
für jeden Film, den man anschaut, und jedes Lied, das man hört! Ihnen fehlt insofern tatsächlich ein wenig das Unrechtsbewusstsein. Und die Behauptung, man würde ja für alles zahlen, wenn es nur möglich wäre, ist auch nur teilweise wahr. Viele Junge streamen zum Beispiel regelmäßig mehrere unterschiedliche US -Serien gleichzeitig. Für manche von ihnen würden sie sicher zahlen. Aber für alle? Wohl kaum.
Andererseits gibt es viele Untersuchungen, die beweisen, dass Leute, die viele illegale Downloads auf dem Computer haben, die Serien und Filme streamen und Musik auf Youtube hören, gleichzeitig mehr Geld für Kinokarten, Konzerte und legal erworbene Musik ausgeben als Leute, die kaum oder selten illegal Kultur konsumieren. Diese Zwickmühle hat die Band Deichkind mit ihrem Song «Illegale Fans» auf den Punkt gebracht: Es sind tatsächlich die eigenen Fans, also diejenigen, die die Konzerte der Künstler besuchen, die sich auf der anderen Seite auch umsonst bedienen – was für ein Dilemma! Denn die eigenen Fans will ja nun wirklich keiner vergraulen.
Was viele von uns aber richtig wütend macht, ist, dass die Alten uns gleich in die kriminelle Ecke stellen, dass sie von «Raubkopien» reden – dabei kann eine Kopie von etwas schon rein rechtlich kein «Raub» sein. Erstens, weil sie ja nach dem Kopieren immer noch da ist. Und zweitens, weil beim Kopieren niemand Gewalt anwendet. Und dass die Alten so tun, als führten wir allein den Untergang der westlichen Kultursphäre herbei. Dabei würde es schon helfen, wenn sie eine Frage ehrlich beantworten würden: Hätte es vor 30 Jahren nicht nur Kassetten, sondern die Möglichkeiten digitaler Kopien gegeben – hätten unsere Eltern als junge Leute darauf verzichtet? Hätten sie den Künstlern zuliebe weiterhin überteuerte CD s gekauft? Oder wären sie auch zu «Raubkopierern» geworden?
Hätten sie ihre Lieblingsserien für viel Geld in schlechten Übersetzungen, Monate nach Ausstrahlung, im Apple Store heruntergeladen? Oder hätten sie sie zeitgleich mit der Ausstrahlung im Herkunftsland gestreamt? Na also. Tatsache ist nämlich auch, dass das Internet das kulturelle Blickfeld vieler Junger enorm erweitert hat, dass sie online auf Musik und Filme stoßen, die kein Mainstream-Radiosender und erst recht nicht ARD oder ZDF auf dem Schirm gehabt haben. Viele von uns sprechen heute auch deswegen so gut Englisch, weil es eben problemlos möglich ist, Filme und Serien jederzeit im Original anzuschauen. Auf diese kulturelle Vielfalt will kaum einer mehr verzichten – wer einmal eine US -Serie im Original gesehen hat, der will das Ganze eben nicht erst ein halbes Jahr später auf Deutsch sehen. Und der pfeift erst recht auf das, was das deutsche Fernsehen so produziert.
Doch warum ist es eigentlich so schwierig, sich vernünftig und ohne Hysterie gemeinsam an das Problem zu machen? Aus der Sicht der jüngeren Generation ist das so: Nur weil die Alten den Jungen ständig in ihre Lebensraumgestaltung hineinquatschen und ihre bevorzugten Kommunikationsmittel verteufeln, gibt es in dieser Frage überhaupt einen Graben zwischen den Generationen. Die Jungen sind wütend, weil ihre Eltern sich manchmal nicht die geringste Mühe geben, zu verstehen, was im Internet eigentlich vor sich geht, und stur, spießig und rückwärtsgewandt versuchen, ihre ollen Regeln auf das Netz zu übertragen.
Die Reaktionen der Alten sind andererseits aber auch verständlich. Dass sie verunsichert sind, weil sie sich in der Welt ihrer Kinder irgendwie unwohl fühlen, weil sie regelrecht Angst haben vor der «Netzgemeinde» – wer auch immer das sein soll. Und weil sich die Jungen zugegebenermaßen auch lange keine allzu große Mühe gaben, ihren Eltern das Netz zu erklären. Klar, wer lädt schon seine Alten freiwillig dorthin ein, wo das eigene Leben spielt? Und für die Eltern ist es vermutlich auch nicht gerade angenehm, dass es einen zunehmend wichtigen Bereich gibt, in dem sich ihre Kinder bestens auskennen – von dem sie selbst aber keinen Schimmer haben.
Irgendwo zwischen der Wahrnehmung der Eltern – das Internet als von riesigen Konzernen kontrollierte Inkarnation des Bösen – und der der Jungen – das Internet als Ort der Mitbestimmung, des Austauschs und der kulturellen Erfahrung – liegt wohl die Wahrheit. Das Problem ist, dass Eltern und Kinder von zwei völlig unterschiedlichen Standpunkten aus versuchen, die damit verbundenen Herausforderungen zu meistern. Und
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