Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)
der Begründung – die Durchsetzung des Urheberrechts erleichtern soll. Die Digital Natives waren aus vielerlei Gründen gegen Acta. Sie kritisierten, dass das Abkommen über Jahre hinweg hinter verschlossenen Türen ausgehandelt wurde und dass es ihm somit an demokratischer Legitimation mangele. Außerdem bemängelten viele, dass der Text zu vage formuliert sei und es somit reichlich unklar sei, welche Folgen er für das Netz haben werde, wie Urheberrechtsverletzungen überhaupt bestraft würden und wer sie verfolgen soll. Viele, darunter auch die renommierte Menschenrechtsorganisation Amnesty International, befürchteten, dass Acta zu krasse Eingriffe in die Privatsphäre einzelner Menschen ermögliche – zum Beispiel die Überwachung von Datenströmen.
Vor allem aber sahen sie hier die Meinungsfreiheit im Netz bedroht, es sei zum Beispiel nicht klar formuliert, wer überhaupt für die Überwachung von Urheberrechtsverstößen zuständig sei. Behörden? Das röche arg nach Zensur. Private Unternehmen? Denen fehle es doch an Legitimation. So argumentiert zum Beispiel die Initiative «Stopp Acta»: « ACTA legt die Regulierung der Meinungsfreiheit in die Hände privater Unternehmen, da das Abkommen Dritte, wie zum Beispiel Internet-Provider, dazu verpflichtet, Online-Inhalte zu überwachen, deren Rolle es nicht ist, über Meinungsfreiheit zu bestimmen.» Sie befürchteten zudem, dass Gesetzgeber mit Acta die Einführung von Netzsperren bei wiederholten Urheberrechtsverstößen rechtfertigen könnten – in Frankreich wurde zum Beispiel eine entsprechende Regelung bereits 2010 eingeführt, «durch den Geist der Acta-Verhandlungen», wie es der bekannte Netzaktivist Markus Beckedahl einmal im Interview mit dem Deutschlandfunk formulierte.
Ähnlich war die Situation 2009 mit dem Gesetz, das das Sperren kinderpornographischer Seiten vorsah – Internetkenner, Bürgerrechtler, sogar Missbrauchsopfer intervenierten. Sie befürchteten, dass die Regierung eine staatliche Zensurbehörde einrichten könnte, und wiesen darauf hin, dass Internetsperren leicht zu umgehen seien. Denn die Seiten blieben ja nach einer Sperrung weiter im Netz – sie seien bloß nicht mehr einsehbar. Das Gesetz löse das Problem also gar nicht. Sie forderten stattdessen, kinderpornographische Seiten zu löschen. Und nach einer reichlich zähen Diskussion, die den Piraten in Deutschland zu erster Aufmerksamkeit verhalf, ist «Löschen statt Sperren» inzwischen gängige Praxis, das Sperrgesetz ausgesetzt.
In all diesen Fällen nehmen die Alten das Netz von außen wahr und gehen die einzelnen Probleme an, ohne das dahinterstehende Gebilde zu verstehen. Und oft meinen sie das nicht einmal böse. Sie sehen Künstler, die von ihren Werken nicht mehr leben können – und halten deswegen Acta für eine gute Sache. Denn immerhin sichere das Urheberrecht doch Arbeitsplätze! Und klar, Kinderpornographie ist so ziemlich das Widerlichste, was man sich vorstellen kann. Also kann ein Gesetz, das dagegen vorgeht, doch nur gut sein. Oder?
Auf welche Aspekte des digitalen Wandels sich die Gesetze jedoch noch auswirken, darüber denken die Alten nicht genügend nach. Die Jungen hingegen reagieren genau entgegengesetzt: Für sie ist nichts wichtiger als ein freies Internet, die Bewahrung dieses Ortes, dessen Regeln sie teilweise selbst mitgeschaffen haben. Und von denen manche auch Einfluss auf die «reale Welt», auf ihr Verhalten am Arbeitsplatz, unter Freunden und in politischen Diskussionen haben. Dass sie dennoch bereit dazu sind, sich über Probleme wie Kinderpornographie Gedanken zu machen, zeigt, dass sie die ersten waren, die mit «Löschen statt Sperren» um die Ecke kamen. Wer weiß, hätte die Politik 2009 gleich auf die Netzaktivisten gehört – die Piraten wären vielleicht nie bekannt geworden.
Wirklich gefährlich wird es in der ganzen Diskussion immer dann, wenn dem Internet eine Rolle zugewiesen wird, die über die eines Mediums hinausgeht. Wenn es heißt, «das Internet» habe die Revolutionen im arabischen Raum ausgelöst, ist das natürlich ebenso verkürzter Blödsinn, wie wenn es heißt, «das Internet» diene dazu, Bürger auszuspähen und zu unterdrücken.
In allen Fällen stehen Menschen und von Menschen geschaffene politische Systeme hinter den Entwicklungen, nicht ein technisches Werkzeug. Dennoch hat das Netz das Leben vieler Menschen natürlich grundlegend verändert – und damit auch die Art und Weise, wie heute Politik
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