Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)
Zusammenschlüsse wie die Piraten sind da so etwas Ähnliches wie Lobbyorganisationen. Ein Umstand, der umso auffälliger wird, wenn das Programm abseits von Netzthemen erst mühsam gefunden werden muss.
Außerdem tummeln sich zum Beispiel in meiner Timeline anteilig mehr Feministinnen und erst recht mehr Feministen als auf der Straße, Themen wie das Betreuungsgeld wurden dort viel extremer diskutiert, als es zum Beispiel in einem durchschnittlichen Café der Fall wäre. Auch das ist nicht schlimm, auch hier ist es völlig o.k., dass die Betreuungsgeldgegner die Plattform für ihren Protest nutzen. Dennoch wäre es ein Fehler anzunehmen, dass der Lebensentwurf vieler Netzaktivistinnen und Journalistinnen repräsentativ wäre.
Ja, eigentlich geht die Spaltung zwischen Informationselite und allen, die den Diskussionen irgendwie hinterherstolpern, bis ins Netz hinein, wie etwa Johannes Schneider im
Tagesspiegel
schreibt. Denn auch hier brächten nur wenige Diskutanten die Diskussion wirklich voran: «die mit dem Mut, der Zeit und auch dem intellektuellen Vermögen, an ihr ‹dranzubleiben›, wenn sie über die Reflexzonen von ‹Muss alles anders› und ‹Soll alles bleiben› hinausgreift». Alle anderen beschreibt er so: «Von diffusen Ängsten getrieben werden bei Twitter, in Foren, Blogs und Onlinekommentarspalten wirre Zukunftsszenarien entworfen und Kontinuitäten beschworen, als sei allein die Anregung einer gesellschaftlichen Fortentwicklung das Ende jedes Geschichtsbewusstseins.» Schneider fordert deswegen mehr Empathie. Dass sich Online-Nutzer – wie das in Diskussionen grundsätzlich hilft – auch mal in die Lage und Denkweise des Gegenübers hineinversetzen, anstatt nur nach den «Likes» der Gesinnungsgenossen zu trachten.
Und hier liegt die wahre politische Jahrhundertaufgabe der jetzigen Generation: Wir dürfen nicht vergessen, dass viele, die sich jetzt im Netz organisieren, eine Elite sind. Dass nicht jeder die Zeit und die Möglichkeiten hat, Tag für Tag im Internet zu surfen. Und vor allem dürfen wir nicht arrogant alle dumm und blöd heißen, die sich scheuen, im Netz aktiv zu werden, oder sich dort nicht auskennen. Die Angst haben vor der «Netzgemeinde» – ganz egal, wie bescheuert dieser Begriff auch ist. Und man darf auch nicht vergessen, dass es Leute gibt, die zur politischen Teilhabe nicht in der Lage sind – sei es, weil ihnen tatsächlich die technischen Voraussetzungen fehlen, weil sie keine Zeit oder weil sie schlicht keine Lust haben, sich mit Politik zu beschäftigen.
Auch Christian Jakubetz beklagt in seinem
Cicero
-Artikel «das elitäre, überaus arrogante und wenigstens abweisende Gehabe» der Netzavantgarde – ihn selbst eingeschlossen: «Das mitleidige Lächeln, wenn einer nicht sofort weiß, welche Gadgets im Moment die
must haves
sind. Wenn einer den elaborierten digitalen Sprachcode nicht beherrscht und sich somit sofort als einer von draußen outet.» Jakubetz, Jahrgang 1965 und somit einer der älteren Digital Natives, schlussfolgert lakonisch: «Die erste Generation der digitalen Gründerväter kommt langsam an ihre Grenzen, vielleicht sogar an ihr Ende. Was kein wirklicher Beinbruch sein muss: Im Leben sind schon ganz andere Feudalisten gescheitert.»
Was folgt nun aber für uns Jüngere aus diesen bitteren Erfahrungen? Vielleicht das: Das Internet ist eben keine demokratische Wunderwaffe, die Berufspolitiker überflüssig und Politik von Zauberhand für alle interessant und erlebbar macht. Und an und für sich ist es doch gut, dass wir Leute haben, die sich die Politik nicht nur zum Beruf, sondern häufig auch zur Berufung gemacht haben. Die ihren Kopf hinhalten, für uns diskutieren, uns national und international vertreten. Ganz ehrlich, die meisten Leute, egal, wie gut sie ausgebildet sind, wählen gerne jemanden, der sich für sie mit komplizierten Entscheidungen auseinandersetzt, der das politische Alltagsgeschäft managt. Gerade die mühsamen Prozesse der Piraten haben doch daran erinnert, dass Politik auch ätzend langweilig, enorm zeitaufwendig und ziemlich kleinteilig sein kann.
Denn auch wenn wir eiskalte Machtpolitiker ablehmen, möchten wir dennoch eines: Politiker, die Verantwortung übernehmen.
«Die alte Kacke dampft noch immer»: Der Feminismus ist wieder da!
Vor diesem Hintergrund ist es sicher auch kein Zufall, dass der Feminismus im politischen Diskurs gerade ein Revival erlebt – auch er beschäftigt sich schließlich mit der
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