Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)
Frage, wer in unserer Gesellschaft warum wie viel Macht und Einfluss hat. Die Diskussion, warum immer noch so wenige Frauen in Führungspositionen sind, warum es immer noch so schwierig ist, eine Familie und eine Karriere zu haben – sie rechnet auch mit alten Herrschaftsstrukturen ab. Die Aufregung um Frauenquote, Betreuungsgeld und Sexismus ist inzwischen längst im Mainstream angekommen und vielleicht eine der wichtigsten Debatten der kommenden Jahre.
Wir jungen Frauen sind da in einer etwas komischen Situation. Es lief schließlich für uns lange Zeit alles bestens! Wir Mädchen waren besser in der Schule als die Jungs, waren in den Abi-Jahrgängen in der Überzahl und fingen auch häufiger ein Studium an. Wir bereisten die Welt und hörten dabei kein einziges Mal von unseren Eltern: «Ein Mädchen alleine kann das nicht» oder «Für ein Mädchen gehört sich das nicht». Wir fingen an zu arbeiten, zogen mit unseren Freunden zusammen und teilten uns ganz selbstverständlich den Haushalt, ganz ohne große ideologische Kämpfe. Matthias putzt die Küche, Hannah das Bad, einkaufen gehen wir gemeinsam, und zusammen kochen ist doch überhaupt das Tollste – wo ist da das Problem?
Und doch sahen wir, dass es mit der großen Karriere trotz guter Ausbildung, trotz Motivation und Einsatz, bei den Mädels nicht so richtig zu klappen schien. Für viele von uns kamen mit dem Berufseintritt diese komischen Momente. Momente, in denen wir uns verbiegen sollten, die Spielchen der Männer mitspielen. Momente, in denen wir aufmüpfigen jungen Frauen in einer Art und Weise auf unsere Plätze verwiesen wurden, wie wir sie bis dahin nie erlebt hatten.
Jede junge Frau, die in einer halbwegs verantwortungsvollen Position arbeitet, hat schon erlebt, dass ein Großteil der Menschheit auf sie und ihr Selbstverständnis noch nicht vorbereitet ist. Da ist zum Beispiel meine großartige Schulfreundin, die sehr klein, sehr blond und sehr hübsch ist. Aber eben auch sehr klug, sehr durchsetzungsstark und sehr witzig. Sie arbeitet als Senior-Projektmanagerin auf Messen, und was sie in geselliger Runde an sexistischen Attacken auspacken kann, ist nur zur Hälfte komisch.
Sie erzählt von Geschäftspartnern, die am Messestand den Praktikanten mit Handschlag begrüßen und sie Kaffee holen schicken wollen. Von Besuchern, die sie für die Hostess halten und sie fragen, in welchem Hotel sie denn abstiege und was sie und die anderen Hostessen denn später noch so vorhätten. Von Männern, die sie unbekannterweise auf die Wange küssen wollen. Oder von älteren wohlmeinenden Herren, die ihr, der «armen Studentin», Geld zustecken wollen. Ihre Strategie: einen Fake-Ehering tragen, niemals unnötigerweise lächeln und unter gar keinen Umständen jemals auch nur in die Nähe einer Kaffeemaschine kommen.
Ähnliche Geschichten bekommt man von allen Freundinnen und Bekannten zu hören – von Gehaltserhöhungen, die mit dem Argument abgelehnt werden: «Ihr Mann verdient doch auch noch was.» Von Vorstellungsgesprächen, in denen nach den Familienplänen gefragt wird. Von Chefs, die bei der Eröffnung der betriebseigenen Kita stolz erklären, «die jungen Mütter» könnten die Kinder dort schon frühmorgens hinbringen und abends nach Büroschluss bequem wieder abholen. Von Chefs, die der Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit bei einer Veranstaltung den Mantel zum Aufhängen hinwerfen. Von Kollegen, die immer noch denken, Geschirr in die Spülmaschine einzuräumen sei «Frauensache».
Oft ist das noch nicht einmal böse gemeint! Zum Beispiel bei meiner Freundin, die nach einem halben Jahr Elternzeit zurück ins Büro kam und von nahezu allen Kollegen gefragt wurde: «Geht dein Kleiner jetzt schon in die Kita?» Fast keiner kam auf die Idee, dass es zu dem Kind ja auch noch einen Vater gibt, der seine Hälfte der Elternzeit nehmen wollte. Das ist doch schade.
Es ist erstaunlich, wie lange man diese Liste noch weiterführen könnte. Und auch die Statistiken geben all jenen recht, die die Gleichberechtigung für längst nicht erreicht halten. Spätestens sobald das erste Kind kommt, muss sich die junge Familie entscheiden: Wer soll das Nest hüten? Und wer das Geld ranschaffen? Meistens ist es dann doch die Frau, die beruflich kürzer tritt, die einen Großteil der Elternzeit nimmt, die hinterher in Teilzeit arbeitet und den Haushalt schmeißt. Dafür gibt es viele Gründe. Der wichtigste ist sicher, dass Frauen oft noch weniger verdienen als ihre
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