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Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)

Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)

Titel: Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Beitzer
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«Ihr Gesicht ist, dass sie keines haben und keines wollen», schreibt zum Beispiel Sebastian Schoepp auf
Süddeutsche.de
über diese zumeist jungen Aktivisten. Sie seien erklärtermaßen anti-autoritär und auch antiparteipolitisch. Er berichtet zum Beispiel von der jungen Sozialistin Beatriz Talegón, die bei einem Treffen der Sozialistischen Internationale in Portugal in einer Brandrede ihre Parteifreunde dazu aufrief, sich endlich aus den gemütlichen Fünf-Sterne-Hotels hinaus an die Seite der Protestierenden zu begeben. Fernsehsender und Zeitungen sahen in ihr schon eine neue Ikone der Protestbewegung – doch die Demonstranten auf Spaniens Straßen pfiffen sie aus.
    Wie schnell sich in Zeiten des digitalen Wandels der eigene Einflussbereich verändert, merken nicht nur Politiker, sondern auch die Medien, die ja ein wichtiger Teil des politischen Systems sind. Viele ältere Journalisten haben ihre berufliche Laufbahn in dem Glauben begonnen, sie seien tatsächlich DIE vierte Macht im Staat. Dass sie es sind, die Minister erst in den Olymp befördern und dann stürzen können. Dass sie es sind, die Missstände aufdecken. Dass sie es sind, die das Monopol auf Information haben.
    Auf einmal sehen sich die Journalisten mit User-Kommentaren konfrontiert. Mit Bloggern, die im Netz ihre Meinungsbeiträge gleichberechtigt neben denen alter Leitartikelschreiber publizieren. Wie sehr das Selbstverständnis der Journalisten wackelt, konnte man nicht zuletzt während der US -Wahl bestaunen. Noch 2008 stand in der Wahlnacht im Internet im Wesentlichen das, was die Fernsehsender zeigten, für all diejenigen aufbereitet, die nicht selbst fernsehen wollten oder konnten. 2012 standen dann plötzlich in allen bundesdeutschen Fernsehstudios Reporter, die nichts anderes taten, als Tweets und Internetkommentare vorzulesen. Klar, hierzulande ist Twitter noch alles andere als ein Massenmedium. Aber ein Multiplikator ist es längst. Immer mehr Journalisten, Politiker und Lobbyisten jeglicher Couleur melden sich dort an, nutzen die Möglichkeiten, ihre Sicht der Dinge unter die Leute zu bringen.
    Von einem totalen Bedeutungsverlust konventioneller Meinungsverarbeitung auszugehen, wäre trotzdem grundfalsch. Menschen, die über die nötige Zeit und die finanziellen Ressourcen verfügen, sich tief in Sachthemen einzugraben und dazu unter Umständen eine pointierte Meinung herauszuarbeiten, brauchen wir heute genauso wie früher. Schließlich ist die Welt nicht einfacher geworden, oder? Für Medien gilt dabei dasselbe wie für jedes andere Unternehmen auch: Die Leute suchen auch online nach Marken, denen sie vertrauen. Doch Medien können sich heute schlechter als früher über den Leser stellen. Auch für sie gilt, dass sie kommunizieren müssen. Glaubwürdig sind sie nicht mehr, weil sie vorgeben, alles zu wissen. Niemand weiß alles. Auch nicht deswegen, weil sie keine Fehler machen. Jeder macht Fehler.
    Glaubwürdig werden die Meinungsmacher jetzt, wenn sie Leser miteinbeziehen und ihnen das Gefühl geben: Ich habe deine Probleme, deine Interessen und deine Sorgen verstanden. Denn der Leser verzeiht viel: Er verzeiht Fehler, er verzeiht auch eine andere Meinung. Das Einzige, was er nicht verzeiht, ist Arroganz. Er will nicht von oben herab behandelt, sondern gehört werden. Wenn Journalisten das beherzigen, dann werden sie von der vielgescholtenen «Netzgemeinde» ebenso innig verehrt wie ihre Vorgänger von Zeitungslesern.
    Medien müssen interaktiv werden, zu ihren Fehlern stehen, bereit sein, sich zu korrigieren. Wissenslücken werden heute schnell entlarvt, Gegenargumente rasch aufgestöbert, eigentlich kann sich keiner mehr mit einer steilen These nach draußen wagen, ohne dass sofort Dutzende Gegenreaktionen irgendwo auftauchen – sei es in Form von Leserkommentaren, auf Twitter oder per Blogeintrag. Für die Größen der politischen Meinungsbildung ist das nur schwer zu ertragen: Da kann auf einmal jeder Vollidiot auf einen Leitartikel des angesehensten Experten der Qualitätspresse antworten. Medien sollten dennoch die Chancen nutzen, die das Internet bietet: Immerhin kann hier ziemlich zuverlässig gemessen werden, welche Themen die Menschen im Netz bewegen.
    Dabei gewinnen Redaktionen erstaunliche Erkenntnisse: Klar, Machtkämpfe innerhalb von Parteien interessieren die Leute nach wie vor. Jeder will wissen, warum Merkel jetzt schon wieder einen Minister rausgeschmissen hat, wer hinter diesen und jenen Angriffen steckt.

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