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Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)

Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)

Titel: Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Beitzer
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bayerischen Provinz, der bestenfalls ein oder zweimal im Jahr zu einem Piratenparteitag fahren kann, weil er für alles andere weder Zeit noch Geld hat.
    Online-Beteiligung ist zudem ganz und gar nicht weniger elitär als die etablierten Machtstrukturen. Auch das Aufspüren und Auswerten von Faktenwissen im Netz erfordert Kenntnisse, über die nur wenige verfügen. Nur ein kleiner Prozentsatz von Menschen versteht es, die unendlich große Informationsmasse des Internets sinnvoll zu filtern. Und nur weil täglich mehr Menschen online gehen, heißt es nicht, dass sie wissen, was sie tun. Wem kann man vertrauen? Wer weiß wirklich etwas – und wer tut nur so? Welche Information ist falsch, welche richtig? Aus all diesen Informationen ein politisches Programm zusammenzubasteln, ist schwierig, hier stößt auch die viel beschworene Schwarmintelligenz an ihre Grenzen. Sobald ein Standpunkt gefunden ist, tut sich irgendwo ein Gegenargument auf, das auch noch geklärt werden muss.
    Gerade die Piraten mussten in den vergangenen Monaten wiederholt die Erfahrung machen, dass sich auch bei ihnen eine Elite gebildet hatte – eine Zeit- und Geldelite aus jenen, die es sich a) leisten können, viel Zeit auf politische Arbeit zu verwenden und die b) über genügend Geld verfügen, zu den basisdemokratischen Parteitagen anzureisen. Dem Ideal der flüssigen Demokratie entspricht das natürlich nicht, geben viele von ihnen inzwischen unumwunden zu.
    All das übersehen manche Digital Natives hin und wieder. Sie streiten, diskutieren und verhandeln in ihrer eigenen kleinen Realitätsblase, zärtlich Filterbubble genannt, in der unter Umständen bestimmte Themen einen größeren Raum einnehmen als im Durchschnitt der Bevölkerung. Der Begriff geht auf den Internetaktivisten Eli Pariser zurück, der in seinem gleichnamigen Buch beschreibt, dass Webseiten bestimmte Algorithmen verwenden, dank derer sie «voraussehen» können, welche Informationen den Nutzer interessieren. Bestes Beispiel für so eine «Filterblase» ist die automatisierte Suchfunktion von Google, die jedem Menschen anhand seiner vorherigen Suchen bestimmte individualisierte Ergebnisse vorschlägt.
    Inzwischen verwenden viele Leute den Begriff aber deutlich weiter – zum Beispiel für die Menschen, denen sie auf Twitter folgen, deren Nachrichten sie folglich in ihrer Timeline finden, deren Blogs sie lesen, mit denen sie Diskussionen führen. Klar, jeder folgt den Menschen, die sich für ähnliche Themen interessieren, die einen auch selbst interessieren. Bin ich selbst Feministin, dann treibe ich mich eben in der netzfeministischen Szene herum, finde ich Computerspiele spannend, werde ich auch hier Gleichgesinnte finden, interessiere ich mich für Parteipolitik, besteht meine Timeline eben hauptsächlich aus Berufspolitikern und Pressesprechern. Je nachdem, wie meine Filterbubble aussieht, werde ich andere Themen vorfinden, die dort heiß diskutiert werden. Sicher, Filterbubbles gibt es prinzipiell auch in der Offline-Welt. Der durchschnittliche
SZ
-Leser liest nicht unbedingt gleichzeitig die
Bild
-Zeitung und umgekehrt.
    Doch gerade wenn es um den digitalen Wandel geht, verlieren wir im Netz manchmal das Verständnis dafür, dass anderen das Thema vielleicht (noch) nicht so wichtig ist. Die übliche Mischung aus Journalisten, netzinteressierten Künstlern, Hackern, Geeks und Bloggern kann sich stundenlang über das Urheberrecht fetzen. Aber es ist halt ein Nischenthema, das den Großteil der Bevölkerung allenfalls am Rande interessiert. Der große Erfolg der Acta-Demonstrationen ließ das schnell vergessen – doch 2013 folgte die Ernüchterung. Das Leistungsschutzrecht, das vor allem Suchmaschinen und ähnliche Dienste betrifft, passierte relativ störungsfrei Bundestag und Bundesrat.
    Das Gesetz legt fest, dass Ausschnitte von Presseartikeln im Internet nur noch gegen eine Lizenzgebühr verwendet werden dürfen. Auch hier befürchteten Netzaktivisten, dass die Informationsfreiheit und der Meinungsaustausch im Netz eingeschränkt würden und vor allem Blogger in ihrer Arbeit behindert werden könnten. Doch ihr Protest verhallte. «Gemessen am Mainstream sind wir Digitalisten dann eben doch sehr viel kleiner und unbedeutender, als wir uns das selbst eingestehen», bilanzierte nüchtern der Journalist Christian Jakubetz im
Cicero
.
    Schlimm ist das nicht, aber man muss es sich immer wieder mal bewusst machen – gerade, weil diese Themen natürlich wichtig sind.

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