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Wir zwei allein - Roman

Wir zwei allein - Roman

Titel: Wir zwei allein - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel , Kimche AG <Zürich>
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sind dumme Sticheleien.

    6    Es könnte Tarasp sein. Eine Burg auf einem Berg. Alles wäre intakt, der Burggraben, die Zugbrücke, die Burgmauer, der Burghof mit dem Kopfsteinpflaster und der Linde. Die Wolken würden über den Himmel fliehen. Die Berge überall, auf einigen noch Schnee. Neben der Linde ein Brunnen. Auf der anderen Seite der verglaste Speiseraum. Eine Kapelle, davor Brennholz aufgeschichtet. Auf der Wiese alte Frauen in Bademänteln, Liegen, Sonnenschirme. Die fremde Sprache, die Sonne, wie sie sich im Glas des Anbaus spiegelt. Theres an der Mauer, im Bademantel. Ihr Lächeln, wenn sie mich sieht.

    7    Ich sehe schon Gespenster. Ich habe nur kurz vor dem Theater angehalten, um die losen Kisten hinten umzuschichten. Ich steige aus, und da sehe ich sie auf der anderen Straßenseite, mit Stefano im Arm. Ihr dunkles Haar. Der Kopf leicht zur Seite geneigt. Die Schultern gesenkt. Sie trägt ein rotes Kleid, das ich noch nie an ihr gesehen habe. Sie steht an der Wand. Stefano trägt seinen braunen Cordanzug. Sie stehen vor dem Kollegiengebäude II der Universität und küssen sich, dann verschwinden sie in der Passage zum Innenhof. Ich bin ihnen hinterhergegangen, durch die Passage hindurch. Ich habe in alle Richtungen geschaut. Bin zwischen den Tischen des Uni-Cafés gelaufen. Habe in die Gesichter der Passanten geblickt. Blauer Himmel. Das Geplärr der kaffeetrinkenden Studenten. Ein warmer Tag. Das alles passiert gar nicht.

    8    Dieser blöde Ackersenf überall. Das Gelb sticht richtig in den Augen. Das hält doch kein Mensch aus. Am Mittag kaufe ich ein Brötchen mit Leberwurst in Kirchzarten. Nebenan wird gerade eine Schreinerei ausgeräumt, Schränke aus hellem Holz auf dem Gehsteig, der Geruch nach Kiefernwald, eine Tonne mit Holzabfall und Schutt.
    Schlimm, sagt die Verkäuferin in weißem Kittel.
    Wo kaufen Sie denn Ihre Möbel?, frage ich.
    Bei Ikea.
    Finden Sie das nicht merkwürdig?
    Warum merkwürdig?
    Na ja, da hat es offenbar diesen Schreiner gegeben. Und Sie kaufen bei Ikea ein. Und jetzt gibt es diesen Schreiner nicht mehr.
    Also besonders merkwürdig finde ich das nicht. Bei Ikea gibt es immerhin Köttbular. Mit Spätzle. Typisch Schwedisch.
    Spätzle sind typisch schwedisch?, frage ich.
    Ich denke doch, sagt die Frau. Wenn es das bei Ikea gibt.
    Ja und?, rufe ich. Es gibt auch Coca-Cola bei Ikea. Ist das deswegen schwedisch?
    Es gibt kein Coca-Cola bei Ikea, sagt sie. Nur Pepsi.
    Geht es dir gut?, sagt Ecki eine Stunde später. Siehst ein bisschen besorgt aus.

    9    Theres kann gar nicht mit Stefano weggefahren sein. Stefano ist Musiker und wohnt fernab von hier. Und warum heißt er eigentlich nicht Esteban? Ich gehe in die Küche rüber und stelle den Boiler ab. Ich dusche kalt. Mein ganzer Körper kribbelt, aber die Welt ist auf einmal ganz anders da, so grell und klar wie lange nicht mehr. Ich stopfe das Spülmittel in einen Müllsack und stelle ihn vor die Wohnungstür. Ich lege die Butter und die Milch und den Appenzeller in eine Plastiktüte und stelle sie auf den Vorsprung hinter dem Fenster. Ich stecke den Kühlschrank aus. Ich stecke den Herd aus. Ein Irokese braucht nur das Land. Ein Irokese bleibt, wo er ist. Sein Leben lang. Ein Irokese hat im Grunde nie gelebt. Ein Irokese ist ein Geist. Und seine Ahnen waren Geister und seine Kindeskinder werden Geister sein. Am Ende gibt es nur das Land. Die Berge, die Seen, die Wälder. Die Zeitungen erzählen uns Geschichten. Die Menschen im Kongo gibt es nicht. Niemand stirbt dort, niemand leidet Hunger, niemand wird vergewaltigt. Auch das Klima ändert sich nicht. Alles ausgedacht, damit wir abgelenkt werden von dem, was unausweichlich wahr ist: Dass es uns nicht gibt. Nur das Land bleibt.

    10    Uli kam heute in Anzug und Krawatte. Ich gründe eine Firma, verkündete er. Mit einem meiner Kollegen. Turbinenwartung. In Baden gibt es schon hundertdreiundzwanzig Windräder.
    Was ist das überhaupt für ein Leben, das du da führst?, fragt Rudi mich später. Er kann sich nicht mehr gerade auf dem Stuhl halten. Rings um uns alles dunkel, die Stühle stehen kopf, Rudis Augen fallen zu, er reißt sie auf, sie fallen wieder zu.
    Ein normales Leben, sage ich.
    Ich habe zugeschaut, wie er die Zapfhähne mit einem Gummibällchen spülte, wie er die Geschirrmaschine ausschaltete und aufklappte, wie er ein letztes Mal über alles wischte und das Geschirrtuch auf das Gitter unter den Hähnen legte.
    Ich meine, warum soll man

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