Wir zwei allein - Roman
irgendwelche komischen Dinge für wichtig halten. Und wir sind hier. Wir sind über allem. Wir können machen, was wir wollen.
Du bist die Einzige, die Zeit hat, sage ich. Ich bücke mich, reiße eine Handvoll Gras aus dem Boden, rieche daran. Das Rasseln der Insekten um uns. Die Schattenflecken vor unseren Füßen. Ich beuge mich zur Seite und starre hinauf, direkt in die Sonne, ich schließe die Augen, Lichtfiguren tanzen im Schwarz. Ich muss los, sage ich.
Sie umarmt mich, drückt ihr Gesicht an meinen Hals, zieht mich zu sich, dass ich fast vom Baumstamm kippe. Bitte, sagt sie. Wir haben uns so lang nicht gesehen.
Ich mache mich frei und schaue sie an. Sie lächelt. Als wäre alles gut. Als wäre sie einen Tag weg gewesen und jetzt wieder da.
Ich muss los, sage ich und stehe auf.
Sie blickt zu mir auf, traurig jetzt. Was soll ich machen?, fragt sie.
Wie meinst du das?
Was soll ich jetzt machen?
Ich weiß nicht, sage ich.
Gut, sagt sie. Ich habe ein paar Ideen, keine Angst. Sie fängt an, ihre Tasche zu packen, stopft die Safttüte, die Äpfel, die zwei Teller, das Besteck hinein. Sie sieht mich an. Schaut in die Wiese. Schaut wieder mich an. Sie wirkt jetzt wütend.
Theres, sage ich und mache einen Schritt auf sie zu. Da schultert sie die Tasche, dreht sich um und ist schon ins Gebüsch getaucht und auf dem Pfad und geht den Weg hinauf, der steil zum Rosskopfgipfel ansteigt.
7 Später halte ich in der Ebene in einem Waldstück zwischen Merdingen und Gottenheim, an einem Teich. Ich lege mein Gesicht aufs Lenkrad, das Leder ist wohlig aufgeheizt, und das löst etwas in mir. Alles um mich verschmiert, eine fremde Macht schüttelt meinen Körper, wann habe ich das letzte Mal geweint? Es ist lächerlich. Nur langsam ebbt es ab. Die Hitze steht, es riecht nach Kläranlage, im Gebüsch neben dem Teich schwebt eine Mückenwolke. Ich könnte hierbleiben. Mich ans Ufer legen, mich in den feuchten Schlamm eingraben, bis die Hitze weg ist. Dann einen Unterschlupf aus Ästen bauen. Ich könnte nachts nach Merdingen schleichen, in den Tonnen vor dem Edeka nach Tomaten und Brot wühlen. Ich könnte mich im Teich waschen, mich im Gebüsch einrichten und in ein paar Monaten in Vergessenheit geraten. Niemand würde mehr nach mir suchen, nach mir fragen. Hierbleiben. Den Sprinter anzünden. Nie mehr zurück in die Stadt.
8 Gemüsesorten unterscheiden sich durch Status, Aussehen und Moral, sage ich. Für Ersteres spricht zunächst der Geruch. Man findet adelige Formen: Artischocke etwa oder Fenchel. Sie riechen nach Blüten, Frühling, Herrschaftshaus. Blumenkohl hingegen oder Kohlrabi stinken wie ein totes Tier und sind eher in der Gemüsegosse anzutreffen. Im Aussehen jedoch gleicht gerade der Blumenkohl dem komplexen menschlichen Denkorgan oder auch Fraktalen aus Sonnenlicht. Er scheint in der Evolution ganz oben in der Hierarchie zu stehen. Aber das täuscht. Wesentlich intelligenter sind die Knollengewächse wie Ingwer oder Kartoffeln. Die machen sich gar nicht die Mühe, mit Schönheit zu kokettieren. Knollen sind pragmatische Minimalisten, sie verzichten auf Schmuck, sie schmieren niemandem Honig ums Maul. Außerdem sind sie gesund.
Warum erzählst du mir das alles?, fragt Niko.
Weil man so etwas wissen muss, sage ich. Ich schaue durchs Fenster nach draußen, wo langsam die Dunkelheit hereinbricht.
9 Ich meine nur, dass sie bei Breuninger gerade diesen Ausverkauf haben, sagt Mutter. Und ein zweiter Sessel könnte dein Wohnzimmer ein bisschen wohnlicher machen. Wenn du zum Beispiel mal eine Freundin hast, oder wenn Besuch kommt. Und ich habe dir schon lange nichts mehr geschenkt.
Das ist lieb von dir, sage ich. Aber ich brauche keinen Sessel. Bist du nicht müde? Willst du dich nicht ausruhen nach der Reise?
Ich habe mich im Zug acht Stunden lang ausgeruht, sagt sie. Sie legt ihre Hand auf den Rollkoffer neben dem Stuhl und schiebt ihn noch ein bisschen weiter in Richtung der Yucca-Palme.
Möchtest du noch ein Stück Kuchen?, frage ich. Oder noch einen Schluck Kaffee? Was ist denn los mit dir, du bist ja richtig aufgeregt.
Ich möchte dir einfach eine Freude machen und dir diesen Sessel schenken, sagt sie. Du müsstest den roten Samt sehen. Das schaut richtig nobel aus.
Aber du siehst doch, dass ich keinen Sessel brauche. Willst du nicht duschen gehen? Es war doch sicher heiß im Zug. Und danach gehen wir spazieren.
Ich möchte nicht duschen, ich möchte mich unterhalten, sagt
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