Wir zwei allein - Roman
aus.
Der Regen draußen. Dieses Zwielicht im Zimmer, weder Tag noch Nacht. Diese Müdigkeit plötzlich. Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, in den Sprinter zu steigen und loszufahren und all diese Dörfer abzuklappern. Mein Körper wiegt Tonnen. Ich stemme meinen Arm über den Kopf. Halte mich am Rollladenband fest, lasse den Rollladen ein Stück herunter. Der umgestürzte Mannequin in der Zimmerecke liegt wieder im Halbdunkel. Das Geräusch des Regens dumpfer. Ich schließe die Augen.
12 Indikation. Episodische Auslenkung. Kriterien des IC D -10 und des DSM-I V . Rapid Cycling. Mischzustände. Und über allem ein Hauch von Hafenluft, Möwengekreisch, Brandung. Der Geruch nach frischer Paella. Nach gebratenem Fisch. Festgesaugte Muscheln im Bart eines Containerschiffs. Indonesien: Hypomanie. Port-au-Prince: erneuter Schub. Wir haben uns quali- und klassifiziert, Theres. Deine schlanken Hände. So schlanke, flüchtige Hände. Winden sich raus. Ziehen sich zurück. Noch ist Sommer. Aber bald schon wieder Herbst, die Tiere ziehen sich zurück in ihren Bau, die Blüten fallen ab, die Samen kapseln sich ein. Es ist ein Auf und Ab. Es sind globale Zyklen. Im Kofferraum ein Schlauchboot. Wir packen es voll mit Lithium und setzen uns selbst am Ufer der Dreisam aus. Hamburg ahoi. Rotterdam ahoi. Wir scheißen auf korrekte Geographien. Wir bevorzugen Biographien. Nicht wahr, Theres? Du bist heute wieder müde. Das kann ich gut verstehen. Der Alltag ist voller Tücken und Fallen. Zum Beispiel die Einkaufssituation. Der Alltag fordert unsere ganze Kraft. Einfach loslassen. Positives Denken werfen wir als Ballast über Bord. Aber eins kann ich dir sagen, Theres. In diesem schweren Zustand können wir uns nicht Hand in Hand ins Wasser gleiten lassen. Der Grund der Seen ist gepflastert mit solchen menschlichen Dimeren. Mit sogenannten superschweren Liebespaaren. Und sie sind nicht entschärft. Ich habe ein Jobangebot als äußerster Außenposten bekommen. Man muss einen Raumanzug tragen. Man ist monatelang allein. Aber man hat einen schönen Blick. Man sieht die ganze Erde und drum herum das All. Es ist so still, Theres. Kein Geräusch pflanzt sich bis dort oben fort. Zyklothymia, Theres. Ich werde dort oben eine Zivilisation gründen. Zeit genug hab ich ja.
13 Theres kauft nichts mehr ein. Sie geht nicht mehr in ihre Werkstatt. Sie isst nichts mehr, und wenn doch, dann schmeckt es wie Sand, Zement, Wurzelbrei. Sie wäscht sich nicht mehr. Aber sie liegt stundenlang in der Badewanne. Danach kann sie ihre Haut abstreifen. Aber die neue Haut ist wie die alte. Theres kann nachts nicht schlafen, sie geht vom Bett in die Küche, sitzt am Tisch und starrt durch die Fensterscheibe auf die leere Straße raus. Morgens kriecht sie dann ins Bett zurück. Ihre Augen brennen, sie muss die Rollläden runterziehen, wenn das graue Licht in ihr Zimmer dringt. Die Amseln machen zu viel Lärm. Sie betet, dass der Müllwagen endlich weiterfährt. Sie hört jedes junge Geräusch aus der Wohnung unter sich, und wenn eins der Kinder ihrer Vermieterin weint, dann möchte sie sich die Trommelfelle entfernen lassen. Sie spielt so ein Spiel, sagt sie. Ich sehe den Wecker an und stelle mir vor, dass ich eine Maschine baue, die durch ein Klingeln ausgelöst wird und mir irgendein Gift ins Zimmer sprüht. Ich brauche dann nur den Wecker auf die gewünschte Uhrzeit zu stellen. Ich sehe die Nähmaschine und überlege, mich mit ihrer Hilfe an die Wand zu nähen, so dass ich nie mehr runterkomme und verhungere. Alle Gegenstände haben für Theres ein Potential, und dieses zu enthüllen, darin besteht das Spiel. Eine Perlenkette, der Spiegel, der Kleiderschrank, der Teppich, ein Teller, eine Schachtel mit Teelichtern, die Teelichter selbst. Morgens ist es für Theres am schlimmsten. Alle Menschen gehen zur Arbeit, Cafétische werden rausgestellt, überall Kinder mit Schulranzen, das Radio verbreitet gute Laune. Und auch sie könnte sich eine neue Arbeit suchen. Oder in die Werkstatt runtergehen. Oder zum Seepark spazieren. Aber sie glaubt nicht daran, dass es ihr gelingt, die Schuhe korrekt zu binden oder die Hose anzuziehen. Es ist unmöglich, aus dem Bett zu steigen, sagt sie. Ich habe die Kombination aus Einzelbewegungen vergessen. Sie ist mir entfallen, verrückt, oder? Außerdem habe ich im ganzen Körper Schmerzen. Ich kann nicht einmal den Arm heben. Ich will schlafen, aber ich kann nicht. Manchmal klingelt das Telefon, und dann freut
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