Wir zwei allein - Roman
Theres sich. Dann überlegt sie, wie man den Lautsprecher manipulieren müsste, damit Töne herauskommen, die das Gehirn zerstören. Ich werde es niemandem erzählen, sagt sie. Weil die Menschen einen dann nicht mehr mögen. Sie wollen keine Probleme hören. Niemand interessiert sich für einen. Erzähl ihnen die Wahrheit, und du hast keine Freunde mehr.
Theres, rufe ich. Mir kannst du alles erzählen. Immer. Das weißt du doch. Ich höre dir zu. Ich helfe dir. Wir könnten verreisen. Dann kommst du auf andere Gedanken. Hast du schon diese Kreidefelsen in Südengland gesehen? Oder den Eiffelturm? Warst du schon in New York? Weißt du, wie riesig dort alles ist? Was meinst du? Du musst auf andere Gedanken kommen, Theres. Du hast eine schlechte Woche hinter dir. Du warst zu lange in diesem Zimmer. Lass uns runtergehen und durch den Schwarzwald fahren.
Ich will lieber ein bisschen schlafen, sagt Theres. Ich bin müde.
Ich räume Theres’ Zimmer auf. Alles ist durcheinandergekommen. Ich könnte sie davon überzeugen, dass das Leben schön ist. Dass es im Glottertal echte Indianer gibt, vom Stamm der Irokesen. Dass in Kirchzarten ein Professor lebt, der mit roten Rüben Experimente macht. Dass es in unserer Stadt einen Rattenmann gibt, der in der Kanalisation unter dem Karstadt wohnt. Dass jedes Jahr die Alpensegler aus Italien kommen. Theres. Wenn man genau hinhört, dann hört man hier bei uns schon von Frankreich her den Atlantik rauschen. Wir könnten zusammen ein Café eröffnen. Du könntest dort deine Bilder und Maschinen ausstellen. Ich könnte politische Abende veranstalten. Wir könnten deine Eltern überraschen und an einem Sonntag zum Essen anreisen. Was meinst du dazu? Was sagst du? Wo bist du gewesen? Was hast du gemacht? Hast du Stefano geküsst?
14 Der Regen hat wieder aufgehört. Die Lupe ist wieder über der Stadt montiert worden. Das Gras auf den Fahrbahnstreifen, in den Quadraten zwischen zwei Gehsteigen, am Straßenrand zwischen Günterstal und Schauinsland, ist gelb und hart und riecht nach Heu. Bald werden wir vom Sommer zurückgelassen werden.
15 Ich weiß nicht, wie viele Wochen vergangen sind. Niko erzählt eben noch, wie neben dem Hof seiner Großeltern ein Kampfflugzeug abstürzte, ich nippe eben noch an meinem Riegeler Landbier und schiebe Tabakreste zu Linien auf der Tischplatte zusammen, Rudi jongliert eben noch hinter dem Tresen mit zwei Lappen zu seiner Geigenmusik, da steht plötzlich Theres im Raum. Ich glaube zunächst an eine Halluzination. Ihr Haar liegt wunderschön dunkel um ihr Gesicht. Sie hat rote Wangen. Sie trägt eine graue Anzugshose und ein rotes T-Shirt. Sie lächelt. Sie lächelt und winkt mir zu. Und ich springe auf und bin schon bei ihr.
Ich dachte, ich gehe mal was trinken, sagt sie. Trinkst du was mit mir?
Theres, sage ich. Das ist doch selbstverständlich.
Wir gehen zwischen den Tischen hindurch zu ihrem Platz. Ich setze mich neben sie und lege meine Hand auf ihre Hand.
So ein schöner Tag heute, sagt sie.
Geht es dir gut?, frage ich.
Es geht mir sehr gut, sagt sie. Ich war heute am Schlossberg spazieren, die Kartäuserstraße entlang. Und weißt du, was ich gesehen habe? Dort geht so ein Tunnel in den Berg hinein. Über hundert Meter reicht der. Drinnen züchten sie Champignons, kannst du das glauben? Es ist dort dunkel, kalt und feucht. Ich durfte sogar die Tische mit den Boxen sehen. Das musst du dir anschauen. Der Mann sagt, dass der ganze Schlossberg von solchen Tunneln ausgehöhlt ist. Die Leute haben sich dort früher versteckt. Vielleicht haben sie Angst vor den Geistern aus dem Schwarzwald gehabt. Na ja, wahrscheinlich hatte es eher mit dem Krieg zu tun. Der Mann sagt, dass fast alles mit dem Krieg zu tun hat. Kriegschampignons. Verrückt, oder?
Theres, sage ich. Fühlst du dich wieder ganz normal?
Ich habe den Tag über in der Werkstatt gearbeitet, sagt sie. Nichts Großes. Ich habe versucht, einen Käfer nachzubauen, den ich in einem Buch gesehen habe. So einen grünglänzenden Laufkäfer, weißt du. Kennst du dich mit Käfern aus?
Theres dreht den Kopf und schaut zum Fenster raus. Sie seufzt. Sie dreht den Kopf zurück, und wir sehen uns an. Und plötzlich ist in diesen Augen keine Theres mehr. Oder eine andere Theres. Oder eine Theres hinter der Theres. Eine neue Theres. Oder einfach eine, die ich nicht kenne.
Theres, sage ich.
Sie zieht ihre Hand weg. Das ist ganz normal, sagt sie.
Was ist normal?
Dass es einem manchmal
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