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Wir zwei allein

Wir zwei allein

Titel: Wir zwei allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Nawrat
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haben. Sich nicht von den Japanergruppen und Sonntagsankommern ablenken lassen. Hinein in den Supermarkt, durch die Regalgänge hindurch und zur Kasse, den Kaufvorgang abwickeln. Habe nichts dabei gedacht, weil Denken an Bahnhöfen in zu viele Richtungen entgleisen kann. Habe fünf Minuten eingeplant.
    Ich sehe sie von hinten, sie legt Münzen auf die Theke der Bäckerei und nimmt eine Papiertüte entgegen. Auf dem Boden neben ihr ein Rollkoffer, der gar nicht zu ihr passt. Theres, wie sie danke sagt, sich die Haare aus der Stirn streicht, nach dem Rollkoffer greift, der gar nicht zu ihr passt. Ein schwarzer Rollkoffer, ein Aluminiumfremdkörper aus dem All, ein Astronauten-Accessoire. Theres, wie sie sich umdreht. Theres, wie sie innehält, weil die unsichtbare Frauenstimme wieder im Schlaf redet. Theres, wie sie aufmerksam zuhört, sich in Bewegung setzt und in den Durchgang unter den Gleisen taucht. Theres mit dem Rollkoffer, der gar nicht zu ihr passt. Theres auf der Treppe. Theres auf dem Bahnsteig Nummer drei. Und ich auf der Treppe. Stufe für Stufe. Und dann hinter ihr auf dem Bahnsteig.
    Theres!, rufe ich.
    Ein Zug fährt ein. Quietschen wie im Schweinestall. Sie fährt erst herum, als ich ihr die Hand auf die Schulter lege, eine schlanke, zarte Schulter.
    Ach so, sagt sie.
    Du fährst weg?
    Ich?, fragt sie.
    Eine Menschenmenge umflutet uns, jemand rempelt mich an, Theres wird fortgerissen, über uns die Durchsage: Willkommen, Ihre Anschlussmöglichkeiten, Bahnsteig gegenüber. Theres’ Lächeln zwischen all den Gesichtern. Dann ihr Blick zum Zug und auf die Uhr an der Decke.
    Du fährst?, rufe ich.
    Ja, ruft sie zurück.
    Dann stehe ich wieder neben ihr. Wohin?
    Nur für ein paar Tage, sagt sie.
    Ist etwas passiert?
    Nein, sagt sie. Alles in Ordnung.
    Wohin fährst du, Theres?
    Ich will nur etwas ausspannen.
    Ist etwas passiert?, frage ich wieder.
    Nichts Schlimmes, sagt sie. Eine schöne alte Burg. Ganz in der Nähe von meiner Tante. Sie sagt, die Burg ist achthundert Jahre alt. Kannst du dir das vorstellen? Es gibt sogar eine Zugbrücke. Aber sie wird nicht benutzt.
    Was für eine Burg? Was für eine Tante?
    Wusstest du, dass die Leute vor achthundert Jahren gar keine Kanalisation hatten? Auf dieser Burg gab es aber schon eine. Von allen Klos führen Steinrohre in ein System aus Rinnen. Ein bisschen wie unsere Bächlein hier. Der Burgherr war wohl ziemlich fortschrittlich.
    Theres.
    Mein Zug fährt gleich, sagt sie.
    Geht es dir gut?
    Es geht mir sehr gut.
    Das Piepen der Tür. Der Pfiff zur Abfahrt. Der Flaum an Theres’ Hals. Ihr Fuß auf dem Treppchen. Das Knallen von benachbarten Türen.
    Ich habe dir einen Brief geschrieben, sagt sie. Aber ich habe ihn nicht abgeschickt. Dann habe ich dir einen zweiten geschrieben. Aber auch den hab ich…
    Mit einem Seufzen springt die Tür zwischen uns zu. Theres steht neben der Zugtoilette, beugt sich vor. Ihr Lächeln. Ihr Winken. Der Ruck, der durch den Waggon geht. Ein Moment, in dem nichts geschieht. Dann der Beginn von Geschwindigkeit. Interlaken steht auf der Anzeige. Von irgendwoher wieder die dumpfe Frauenstimme. Der Zug ist schon in Fahrt, Menschen an den Scheiben, der letzte Wagen rollt vorbei. Der Zug windet sich davon, wird zu einem Element der Gleis- und Ginsterlandschaft.
    Stille. Nicht einmal mehr die Frauenstimme. An den anderen Gleisen kein Mensch mehr. Ich steige zurück in die Katakomben. Alles um mich flimmert. Ein Irrtum. Natürlich. Ich bilde mir alles nur ein. Muss Toastbrot kaufen. Und dann zurück nach Hause. Bahnhöfe in Zukunft meiden.

    23    Der Sonntag in der südwestlichsten Universitätsstadt Deutschlands. Fahrradfahrer auf der Blauen Brücke. Sonne, rasende weiße Wolken, blauer Himmel, kaum Autoverkehr. Um das alles herum die hundefellfarbigen Wände des Schwarzwalds. Der Geruch nach Pisse im Eschholzpark. Die Mutter mit den drei Kindern auf dem Fahrrad in der Eschholzstraße. Alles geschieht in Zeitlupe. Sonntage sind in Wahrheit Gemälde aus der Romantik. Weil die Menschen nicht arbeiten, gibt es nur das Wetter, sonst passiert nichts. Ich denke nicht an Theres auf dem Heimweg. Es gibt keinen Grund. Sie ist zu Hause und arbeitet in ihrer Werkstatt. Oder sie trinkt Tee in der Küche und hört französisches Radio. Oder sie macht einen Sonntagsspaziergang im Sternwald. Sie ist glücklich, weil wir zwei uns jetzt haben. Wo soll sie denn hingefahren sein? Mit wem? Das ist alles absurd und beweist, dass die Welt sich einen Spaß

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