Wir zwei allein
heißt! Ich sterbe mitten unter euch, im Gras, im Schnee, direkt vor eurem Haus.
18 Ich denke über einen Ausbau der alten Scheune nach, sagt der junge Wächtle.
Und jetzt willst du wissen, was ich dazu meine, sage ich.
Ich weiß nicht, ob ich das wirklich wissen will, sagt er.
Was soll das denn heißen?
Na ja. Wozu soll man überhaupt etwas machen? Der Rheingraben wird bald von Wald überzogen sein, und die Mulden auf den Feldern werden sich mit einer giftigen Brühe füllen, in der irgendeine neue Spezies heranwächst und so weiter.
Also jetzt übertreibst du ein bisschen, sage ich. So würde ich das nicht sagen.
Also findest du die Idee gut?
Keine Ahnung. Was hast du denn mit dem Ausbau vor?
Schlafräume für Touristengruppen, sagt er. Konferenzräume. Räume für Weinproben. Einfach neue Wege einschlagen. Damit das hier weitergeht.
Ja, sage ich. Immer muss alles irgendwie weitergehen.
Oje!, ruft er. Was ist denn schon wieder mit dir los? Komm, nimm erst mal eine Zigarette.
19 Eine Fahrradklingel. Mitten in der Dunkelheit, mitten in meinem Schlafzimmer. In meinem Körper ein dumpfes Platsch. Ein Brunnenschacht, etwas schillert dort unten, unter dem Schrank, etwas klingelt aus ihm, ein Glöckchen. Wir werden umkehren müssen, sagt eine Stimme. Es ist meine eigene. Die Fahrradklingel gibt keine Ruhe. Meine Hand streicht über Holz. Etwas Hartes in meinem Rücken. Ich liege auf dem Parkett.
Ist ja gut!, rufe ich.
Die Wände im Gang kommen ständig näher, ich öffne die Tür, das Rattern der Lichtanlage im Treppenhaus, ich beuge mich über das Geländer, hebe meine Füße abwechselnd vom kalten Stein.
Es ist vier Uhr in der Nacht, Theres.
Ich war spazieren, sagt sie. Sie umarmt mich.
Für einen Moment glaube ich, dass sie weint. Sie schiebt mich rückwärts in die Wohnung, durch den Gang, ins Schlafzimmer. Ich stolpere, liege auf dem Bett. Atem, ganz laut. Ihr Atem. Sie liegt jetzt auf mir. Sie rutscht meinen Bauch entlang nach unten. Sie hat schon meine Unterhose runtergezogen, es kabbelt in meinem Geschlecht, sie umschließt es mit der Hand, sie rutscht tiefer, es wird warm und feucht, in mir zuckt alles zusammen.
Theres, höre ich mich sagen. Hör auf.
Mein Körper hat schon angefangen, sich zu bewegen. Ich kann das genau sehen und hören. Er bewegt sich ohne mein Zutun, und die Fahrradklingel fängt wieder an zu klingeln, und ich bin wieder in dem Brunnenschacht, und er wird tiefer, und das Plätschern von dort unten, und es klingelt und klingelt, und jemand atmet in mein Ohr, keucht, und Lichtreflexe huschen durch das Dunkel, und ich muss an einen Tag an einem See denken, in der hellen Sonne, und es riecht nach Fisch, und ich wehre mich, mein Körper wehrt sich, er wehrt sich. Dann ist es still, nur mein Atem ist zu hören. In meinen Achselhöhlen warmer Schweiß.
20 Die wachsenden und verblühenden Blumen aus Licht und Wasser an der Decke, wenn unten ein Auto vorbeifährt. Ich höre nur ihre Stimme in der Dunkelheit, sie liegt neben mir, ich kann mich nicht erinnern, ob sie sich ausgezogen hat. Durchs Fenster fällt ein grauer Schein aufs Parkett. Ich bin ein Irokese, ich steige einen Hügel hinauf, auf dem ein einzelner Ahorn steht. In meinem Rücken, tief unten, das Tal. Um mich herum alle Schwarzwaldberge, wie mit einem Becher zusammengewürfelt: Belchen, Kandel, Schauinsland, Blauen, Feldberg, Rosskopf. Unter meinen nackten Füßen Butterblumen, Sauerampfer, stechendes Gras. Es riecht nach Nacktschnecken und nach Lavendel, ein leiser Wind streicht über die violetten und gelben und weißen Köpfchen zu meinen Seiten.
Ich glaube, es reicht, befreundet zu sein, sagt sie. Freundschaft ist vermutlich sehr gesund. Wir wären gute Mitbewohner. Wir müssten noch nicht einmal zusammenwohnen. Es würde reichen, uns regelmäßig zu treffen. Es müsste nicht einmal regelmäßig sein. Pia, eine Freundin von Stefano, hat eine kleine Tochter, und die wohnt vier Tage bei ihr und drei Tage bei Sebastian. Manchmal fahren sie zu dritt in Urlaub. Sie gehen zu Kindergeburtstagen oder in den Ganter-Biergarten oder machen einen Fahrradausflug. Vermutlich leben wir heute anders. Was ist denn Liebe überhaupt anderes als Freundschaft?
Theres, sage ich. Was redest du da?
Ich meine es ernst, sagt sie. Das ist kein Trick, wenn du das glaubst. Liebe. Diebe. Papier. Ein Kartenspiel. Ich meine: Was wir uns immer von allem erwarten. Es muss immer was ganz Großes sein. Was Unübertroffenes.
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