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Wir zwei allein

Wir zwei allein

Titel: Wir zwei allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Nawrat
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Staatsmann, indische Diener, ein Spion Seiner Majestät, im Speisewagen wird der Fünf-Uhr-Tee serviert. In diesem Moment klingelt es. Ich öffne, stehe im Treppenhaus und höre von unten schon die tänzelnden Schritte. Die Füße streicheln über die Steinstufen, eine Treppenhausmelodie, die mich an Paris erinnert und an Lucy in the Sky with Diamonds und ein bisschen an den Schrank aus Alice im Wunderland.
    Theres, sage ich.
    Ich wollte dich überraschen, sagt sie. Sie strahlt über das ganze Gesicht. Ich hab ein Geschenk für dich. Sie streckt mir ein Päckchen entgegen, in Zeitungspapier eingepackt, mit zwei grünen Pappflügeln verziert, zwei Schmetterlingsflügeln, dazu eine Schleife aus grünem und hellblauem Samt. Sie schüttelt es, es klackert. Alles Gute zum dreißigsten Geburtstag.
    Was?, sage ich.
    Du hast doch heute Geburtstag.
    Aber Theres.
    Sie haucht mir einen Kuss auf die Wange und schlüpft an mir vorbei. Sie riecht nach Parfüm, der ganze Gang riecht süßlich hinter ihr. Sie bleibt in der Küche stehen und lässt Wasser ins Waschbecken laufen, holt ein Glas von der Geschirrablage, füllt es und trinkt in großen Schlucken, stellt das Glas auf den Tisch, wischt sich über den Mund. Sie dreht sich zu mir um. Sie hat zu viel Wimperntusche aufgetragen.
    Es ist nicht aufgeräumt, sage ich.
    Willst du es nicht aufmachen?
    Ich reiße das Papier auf, eine Holzbox kommt zum Vorschein. Theres beobachtet mich. Ich schüttle die Box. Ein Klacken kommt aus dem Innern.
    Ein Würfelspiel?
    Mach es auf!
    Ich lege ein Häkchen um, hebe den Deckel an. In roten Samt gebettet, liegt ein durchsichtiges Ei. In seinem Innern befindet sich ein kleineres durchsichtiges Ei, in dessen Innern noch eines. Ich nehme es raus, schüttle es, es klackt. Ich drehe es hin und her.
    Es gibt gar keine Klebstelle, sage ich. Wie hast du das gemacht?
    Tja, sagt Theres. Ein Betriebsgeheimnis. Zauberei.
    Es ist wirklich schön, sage ich und muss die ganze Zeit in diese durchsichtige Verschachtelung schauen, die in die Unendlichkeit zu gehen scheint.
    Du kannst es bei deinen Fahrten mitnehmen, sagt sie. Man kann es an den Spiegel hängen. Dann hast du was, was dich an mich erinnert.
    Das ist wirklich nett von dir, sage ich.
    Gern geschehen. Sie lässt sich auf einen Küchenstuhl fallen. Weißt du. Ich wollte dir etwas Schönes machen. Damit du ab und zu an mich denkst. Alles Gute zum Geburtstag. Du bist jetzt dreißig. Sie steht wieder auf und tritt an mich heran. Der Geruch des Parfüms. Sie küsst mich auf den Hals. Ist schon im Gang, ich folge ihr ins Wohnzimmer.
    Es ist wirklich nicht aufgeräumt, sagt sie. Sie bückt sich zu einem Pullover auf den Dielen und hängt ihn über die Stuhllehne. Sie sammelt die Teller vom Boden und stapelt sie auf dem Tisch.
    Theres, sage ich.
    Ich mach das doch gern.
    Sie schiebt den Sessel zurück unter das Fenster. Sie wischt die Krümel vom Tisch in eine Handfläche.
    Ich habe übrigens Gemüse dabei, sagt sie. Ich mache dir eine Gemüse-Lasagne. Hast du schon Hunger?
    Theres, sage ich. Ich habe keinen Hunger. Ich bin eigentlich ziemlich müde.
    Sie hält inne und schaut mich an. Ach so, sagt sie.
    Ich habe ein bisschen Kopfschmerzen, sage ich. Ich habe letzte Nacht schlecht geschlafen. Ich will mich lieber etwas hinlegen.
    In ihrem Gesicht plötzlich Sorge. Soll ich dir einen Tee kochen?
    Ich schüttle den Kopf. Ich glaube, ich würde mich gerne hinlegen, sage ich. Lass uns lieber am Wochenende feiern. Wir könnten rüber nach Colmar fahren und Flammkuchen essen, was meinst du?
    Okay, sagt Theres. Sie lächelt. Sie geht auf die Zehenspitzen und küsst mich. Dann gehe ich am besten mal, sagt sie. Sie steht da und schaut mich an.
    Ich bringe dich zur Tür, sage ich.
    Auf der Treppe dreht sie sich um und winkt mir, ich winke zurück.
    Soll ich dir wirklich keinen Tee kochen?, fragt sie.
    Ich bin einfach nur müde, sage ich.
    Okay, sagt sie.
    Sie macht mit den Lippen einen Kuss und bleibt stehen. Ich küsse zurück und schließe die Tür.

    17    Ich sterbe an einem Sonntag. Was sind wir sonst als Leid und Wesen der Materie? Weich sein, so viele Gefühle haben, während der eigene Körper aufgibt, während Funktionen ausfallen. Schnee, der wie verlorene Formeln auf die Wiese fällt. Ich sterbe dort, meine Generation steht auf den Rängen und klatscht. Ich, im Schnee liegend, bitte um Mitgefühl, wenigstens Gefühl. Es werden Nüsschen verkauft. Lasst die Kinder in die Arena, sie sollen lernen, was es

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