Witwe für ein Jahr (German Edition)
lassen – etwas zu erfinden, neu zu schaffen –, gelang ihm das einfach nicht so gut, wie wenn er sich auf seine Erinnerung verließ. Ein gravierendes Handicap für einen Prosaschriftsteller! (Damals als Schüler in Exeter ahnte Eddie noch nicht, wie gravierend.)
Im Lauf der Zeit erwarb sich Eddie einen bescheidenen Ruf als literarischer Schriftsteller; er spielte eine wenig beachtete, aber respektable Rolle im Literaturbetrieb. Nie würde er, wie Ruth Cole, eine ganze Generation von Lesern prägen; nie würde er die Sprache so meisterhaft beherrschen wie sie, nie auch nur annähernd so grandiose und vielschichtige Figuren und Handlungen zustande bringen – von ihrem erzählerischen Impetus ganz zu schweigen.
Doch immerhin verdiente sich Eddie irgendwann seinen Lebensunterhalt als Romanautor. Man kann ihm sein Schriftstellertum nicht einfach absprechen, nur weil er nie das sein würde, was Dickens in den Augen von Chesterton war: »eine helle Flamme reinen Genies, die sich Bahn bricht in einem Mann ohne Kultur, ohne Tradition, ohne den Rückhalt traditioneller Religionen und Philosophien oder bedeutender ausländischer Denker«.
Nein, das traf auf Eddie O’Hare nicht zu. (Es wäre auch übertrieben, Chestertons Lob auf Ruth Cole zu übertragen.) Aber wenigstens wurde das, was Eddie schrieb, veröffentlicht.
Der springende Punkt ist, daß Eddie herkömmliche autobiographische Romane schrieb, ausnahmslos Variationen eines überstrapazierten Themas. Zwar schrieb er einen sorgfältigen, klaren Prosastil, seine Szenarios waren wirklichkeitsgetreu und seine Figuren glaubhaft und in sich stimmig, aber es fehlte seinen Romanen an Phantasie. Oder umgekehrt: Wenn er sich darum bemühte, seiner Phantasie etwas freieren Lauf zu lassen, wurden seine Romane unglaubwürdig.
Sein erster Roman wurde zwar insgesamt positiv aufgenommen, aber es war Eddie nicht gelungen, jenen Fallstricken zu entgehen, auf die sein guter Lehrer Mr. Havelock ihn gleich zu Anfang hingewiesen hatte. Das Buch trug den Titel Ferienjob und war im wesentlichen eine leicht abgewandelte Version der Geschichte, die Eddie in Exeter geschrieben hatte. (Der Zeitpunkt seines Erscheinens im Jahr 1973 fiel fast genau mit Ruth Coles Abschluß an der ehemals reinen Jungenschule zusammen.)
In Ferienjob ist der Dichter nicht blind, sondern taub, und der Grund, weshalb er einen Assistenten braucht, kommt dem wahren Grund, aus dem Ted Eddie eingestellt hatte, etwas näher: Der taube Dichter ist nämlich Trinker. Doch während die Beziehung zwischen dem jungen und dem älteren Mann überzeugend wirkt, sind die Gedichte keineswegs glaubhaft – Eddie konnte noch nie Gedichte schreiben –, und das vermeintlich Pornographische an ihnen ist weder drastisch noch vulgär genug, um als Pornographie gelten zu können. Die erzürnte Geliebte des tauben, ständig betrunkenen Dichters, die Mrs.-Vaughn-Figur (die nach wie vor Mrs. Wilmot heißt), ist ein gelungenes Porträt personifizierter Häßlichkeit, die geduldig leidende Gattin hingegen, die Marion-Figur, überzeugt nicht; sie entspricht weder Marion noch Penny Pierce.
Eddie versuchte, sie als elfenhafte Verkörperung der älteren Frau zu gestalten, doch alles in allem bleibt sie zu verschwommen, um als Liebesobjekt des Schriftstellerassistenten glaubhaft zu sein. Auch sonst wirkt sie recht unglaubwürdig; als Leser kann man nicht nachvollziehen, was sie an dem sechzehnjährigen Jungen findet. Ausgespart waren die ums Leben gekommenen Söhne; sie tauchen in Ferienjob ebensowenig auf wie Ruth.
Ted Cole, den die Lektüre amüsierte und der das Buch selbstgefällig als unbedeutenden Roman abtat, war dem einunddreißigjährigen Autor dankbar, daß er die Wirklichkeit in seinem Erstlingswerk etwas abgewandelt hatte. Ruth, deren Vater ihr, als sie alt genug war, von Eddie O’Hares Liebesbeziehung mit ihrer Mutter erzählt hatte, war Eddie nicht weniger dankbar dafür, daß er sie aus seiner Geschichte herausgelassen hatte. Und es kam ihr nicht in den Sinn, daß die Marion-Figur ihrer Mutter auch nur im entferntesten gleichen könnte; Ruth wußte von ihrer Mutter nur eines: daß sie noch immer verschwunden war.
Als Eddie an jenem Samstag im August 1958 mit dem Muschellasterfahrer den Long Island Sound überquerte, konnte er nicht wissen, was die Zukunft bringen würde. Er hätte seine Laufbahn als wenig anerkannter und bekannter Romanautor unmöglich voraussehen können. Dabei sollte er stets eine kleine, aber treue
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