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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Leserschaft haben; hin und wieder deprimierte es ihn, daß seine Fans hauptsächlich ältere Frauen und, freilich weniger oft, junge Männer waren. Trotzdem war der literarische Anspruch seiner Bücher deutlich – Eddie war nie arbeitslos. Er schlug sich mühsam mit Lehraufträgen auf Universitätsniveau durch, eine Aufgabe, die er redlich erfüllte, wenn auch ohne sonderlich zu glänzen oder sich hervorzutun. Von seinen Studenten und Kollegen wurde er zwar respektiert, aber nie bewundert.
    Als der nach Muscheln stinkende Lastwagenfahrer ihn fragte: »Wenn du kein Schriftstellerassistent wirst, was wirst du dann?«, zögerte Eddie keine Sekunde: »Ich werde Schriftsteller«, sagte er.
    Natürlich konnte er sich mit seinen sechzehn Jahren nicht vorstellen, welchen Kummer er anderen Menschen zuweilen bereiten würde. Er kränkte die Havelocks, ohne es im mindesten zu beabsichtigen, und erst recht Penny Pierce, die er nur ein kleines bißchen hatte kränken wollen. Dabei waren die Havelocks so nett zu ihm gewesen! Mrs. Havelock mochte Eddie, auch weil sie spürte, daß sein früheres Begehren erloschen war. Sie merkte genau, daß er in eine andere Frau verliebt war, und es dauerte nicht lange, bis sie ihn danach fragte. Sowohl sie als auch ihr Mann wußten, daß Eddie nicht gut genug schreiben konnte, um sich diese freizügigen Szenen zwischen einem jungen Mann und einer älteren Frau auszudenken. Dazu stimmten zu viele Einzelheiten zu genau.
    Und so kam es, daß Eddie Mr. und Mrs. Havelock seine sechs- oder siebenwöchige Affäre mit Marion beichtete; er erzählte ihnen auch von den schrecklichen Begleitumständen, über die er nicht hatte schreiben können. Mrs. Havelocks erste Reaktion war, daß Marion Eddie buchstäblich vergewaltigt habe; sie habe sich der »Verführung eines Minderjährigen« schuldig gemacht, wie sie es ausdrückte. Aber Eddie konnte Mrs. Havelock davon überzeugen, daß sie sich täuschte.
    Wie gewöhnlich genoß er es, sich bei einer älteren Frau auszuweinen, und Mrs. Havelocks behaarte Achselhöhlen und ungehindert pendelnde Brüste erinnerten ihn daran, wie leidenschaftlich er sie einst begehrt hatte. Wie eine ehemalige Geliebte vermochte sie ihn nur noch hin und wieder schwach zu erregen – ganz war er nicht darüber erhaben, in ihrer warmherzigen, mütterlichen Gegenwart einen Funken Erregung zu spüren.
    Ein Jammer, daß er so über sie schrieb. Man konnte es als ungewöhnlich schlimmen Fall von »Zweit-Romanitis« bezeichnen, denn Eddies zweiter Roman war sein schlechtester und markierte nach dem relativen Erfolg von Ferienjob den Tiefpunkt seiner Karriere. Danach erholte sich sein literarischer Ruf etwas und pendelte sich auf einem mittelmäßigen Niveau ein.
    Beim Schreiben hatte Eddie zu eindeutig Robert Andersons Theaterstück Tea and Sympathy vor Augen gehabt, das später mit Deborah Kerr in der Rolle der älteren Frau verfilmt wurde; es hatte ihn zweifellos nachhaltig beeindruckt. In Exeter war Tea and Sympathy so bekannt, weil Robert Anderson, Jahrgang 1935, Exonianer war; um so peinlicher berührte es Mrs. Havelock, als Eddies zweiter Roman mit dem Titel Kaffee und Dounuts erschien.
    In Kaffee und Dounuts fällt ein Exeter-Schüler in Anwesenheit der Frau seines geschätzten Englischlehrers wiederholt in Ohnmacht. Die Frau, die an ihren BH -losen, baumelnden Brüsten und ihren pelzigen, unrasierten Achselhöhlen unschwer als Mrs. Havelock zu erkennen ist, fleht ihren Mann an, sie aus dem engen Dunstkreis der Schule wegzubringen. Sie empfindet es als demütigend, so vielen Jungen unfreiwillig als Objekt der Begierde zu dienen; außerdem hat sie Mitleid mit einem bestimmten Jungen, den ihre sexuelle Ausstrahlung völlig durcheinanderbringt.
    Das sei »viel zu durchsichtig«, tadelte Minty O’Hare seinen Sohn. Sogar Dot hatte Mitleid, als sie nach Erscheinen von Kaffee und Dounuts Anna Havelocks betroffenes Gesicht sah. In seiner Naivität betrachtete Eddie das Buch als eine Art Hommage an Tea and Sympathy – und an die Havelocks, die ihm eine so große Hilfe gewesen waren. Aber in seinem Roman schläft die Mrs.-Havelock-Figur mit dem verknallten Teenager; nur so kann sie ihren unsensiblen Mann dazu veranlassen, sie aus der Onanieratmosphäre der Schule wegzubringen. (Wie konnte Eddie sein Buch nur als Hommage an die Havelocks sehen!)
    Für Mrs. Havelock hatte das Erscheinen des Romans Kaffee und Dounuts zumindest eine positive Folge: Ihr Mann brachte sie nach Großbritannien

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