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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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er notgedrungen zu diversen Schriftstellerkongressen, und jeden Sommer mußte er sich eine Bleibe suchen, die weniger kostete, als er an Miete für sein Haus in den Hamptons einnahm. Aber Eddie hätte sich nie über seine Lebensumstände beklagt; in dem wechselnden Umfeld, in dem er Schreiben unterrichtete, war er wohlgelitten, weil man sich darauf verlassen konnte, daß er nicht mit den Studentinnen schlief. Jedenfalls nicht mit jüngeren Studentinnen.
    Wie er Marion vor zweiunddreißig Jahren angekündigt hatte, schlief Eddie nie mit Frauen seines Alters – oder jüngeren. Obwohl viele der literarisch ambitionierten Studentinnen, die an den Schriftstellerkongressen teilnahmen, ältere Frauen waren – oft geschiedene Frauen und Witwen, die sich dem Schreiben gewissermaßen aus therapeutischen Gründen zugewandt hatten –, hielt niemand diese Frauen für unschuldig oder hatte das Gefühl, sie vor den sexuellen Avancen gewisser Gastdozenten schützen zu müssen. Außerdem taten in Eddies Fall stets die älteren Frauen den ersten Schritt; sein Ruf eilte ihm voraus.
    Alles in allem war Eddie ein Mann, der sich sehr wenig Feinde gemacht hatte; höchstens ein paar ältere Frauen, die Anstoß daran nahmen, daß er über sie schrieb. Aber sie begingen den Fehler, Eddies fiktive ältere Frauengestalten auf sich zu beziehen. Er hatte sich lediglich ihrer Körper und Haare, ihrer Gesten und ihrer Lieblingsausdrücke bedient. Doch die unsterbliche Liebe, die die jungen Männer in Eddies Romanen für die jeweilige ältere Frau empfanden, war stets eine Variante dessen, was Eddie für Marion empfand; keine der älteren Frauen, die ihm seitdem begegnet waren, hatte er so geliebt.
    Als Romanautor hatte Eddie lediglich Anleihe bei ihrer Wohnungseinrichtung gemacht oder sich erinnert, wie sich bestimmte Kleidungsstücke anfühlten; manchmal verwendete er in einem Buch den Bezugsstoff ihres Wohnzimmersofas – einmal das Rosenmuster der Bettlaken und Kissenbezüge einer einsamen Bibliothekarin, nicht aber die Bibliothekarin selbst. (Nicht genau jedenfalls, auch wenn er sich das Muttermal an ihrer linken Brust ausborgte.)
    Zwar hatte sich Eddie ein paar dieser älteren Frauen, die sich in dem einen oder anderen seiner vier Romane in abgewandelter Form wiederzuerkennen glaubten, zu Feinden gemacht; aber er machte sich auch viele ältere Frauen zu dauerhaften Freunden, darunter etliche, mit denen er früher geschlafen hatte. Eine dieser Frauen hatte ihm einmal erklärt, jeder Mann, der mit seinen ehemaligen Geliebten befreundet bleibe, sei ihr suspekt; das mußte bedeuten, daß Eddie entweder kein großartiger Liebhaber war oder daß sie ihn lediglich als netten Kerl betrachtete. Damit, daß er »lediglich ein netter Kerl« war, hatte Eddie sich längst abgefunden; unzählige Frauen hatten ihm versichert, er könne darauf bauen, daß er ein netter Kerl sei. (Und die seien dünn gesät, behaupteten sie.)
    Wieder schob Eddie die Haarsträhne über seinem rechten Auge zurück. Im düsteren Licht des verregneten Abends blickte er in den Spiegel der Bar und sah sich einem großen, müde wirkenden Mann gegenüber, dem es in diesem Moment extrem an Selbstvertrauen mangelte. Er wandte sich wieder den Manuskriptseiten auf dem Bartresen zu und trank in kleinen Schlucken sein Diet Coke. Es waren knapp zwanzig maschinengeschriebene Seiten, die Eddies Rotstift gründlich überarbeitet hatte; bei ihm hieß dieser Stift nur »Lehrers Liebling«. Auf dem oberen Rand der ersten Manuskriptseite hatte er außerdem den Punktestand seiner Squashspiele mit Jimmy vermerkt: 15:9, 15:5, 15:3. Jedesmal wenn Eddie von Jimmy haushoch besiegt worden war, stellte er sich vor, er hätte wieder gegen Ted Cole verloren. Er konnte sich ausrechnen, daß Ted inzwischen Ende Siebzig war, etwa so alt wie Jimmy.
    Es war kein Zufall, daß Eddie in den neun Jahren, seit er in Bridgehampton lebte, nie an Teds Haus vorbeigefahren war; in der Maple Lane in Bridgehampton zu wohnen und nicht ein einziges Mal unversehens in die Parsonage Lane in Sagaponack einzubiegen erforderte ständiges Vorausdenken. Trotzdem wunderte es Eddie, daß er Ted auch kein einziges Mal bei einer Cocktailparty oder im Supermarkt von Bridgehampton über den Weg gelaufen war. Dabei hätte er sich denken können, daß Conchita Gomez (die inzwischen auch Ende Siebzig sein mußte) sämtliche Einkäufe für Ted erledigte. Ted ging nie einkaufen.
    Was die Cocktailpartys betraf, so gehörten Eddie und Ted

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