Witwe für ein Jahr (German Edition)
Hotelgäste vor, die auf Taxis warteten. Eddie spurtete ins Plaza, wo er sich an der Rezeption einen Zehndollarschein in lauter Kleingeld wechseln lassen wollte. Wenn er das Fahrgeld passend hatte, konnte er einen Bus nehmen, der die Madison Avenue hinauffuhr. Doch noch bevor er sein Anliegen vortragen konnte, fragte ihn die Dame an der Rezeption, ob er Hotelgast sei. Manchmal konnte Eddie ganz spontan lügen, aber wenn er lügen wollte, klappte es fast nie.
»Nein, ich bin kein Hotelgast, ich brauche nur Kleingeld für den Bus«, gestand er. Die Dame schüttelte den Kopf.
»Tut mir leid, aber wenn Sie kein Gast sind, bekomme ich Ärger«, sagte sie.
Eddie mußte ein Stück die 5th Avenue hinauflaufen, ehe er an der 62nd abbiegen konnte. Dann rannte er die Madison entlang, bis er einen Coffee Shop entdeckte, in dem er ein Diet Coke kaufte, nur um endlich an Kleingeld zu kommen. Er ließ das Diet Coke samt einem unverhältnismäßig üppigen Trinkgeld an der Kasse zurück, doch der Kassiererin erschien es offenbar unzureichend. So, wie sie die Sache sah, hatte Eddie ihr ein Diet Coke dagelassen, das sie wieder loswerden mußte – was unter ihrer Würde oder nicht machbar war oder beides.
»Das hat mir gerade noch gefehlt!« rief sie ihm nach. Bestimmt war es ihr gegen den Strich gegangen, so viel Wechselgeld herauszurücken.
Eddie wartete im Regen auf den Bus, der die Madison Avenue hinauffuhr. Er war schon jetzt naß bis auf die Knochen und hatte fünf Minuten Verspätung. Es war 7 Uhr 35, und die Veranstaltung sollte pünktlich um acht beginnen. Die Organisatoren von Ruth Coles Lesung im Y hatten vorgesehen, daß sich Eddie und Ruth hinter der Bühne trafen, um noch ein wenig Zeit zu haben, sich zu entspannen und »sich kennenzulernen«. Niemand, schon gar nicht Eddie oder Ruth, hatte die Formulierung »ihre Bekanntschaft auffrischen« gebraucht. (Wie soll man die Bekanntschaft mit einer Vierjährigen auffrischen, die inzwischen sechsunddreißig ist?)
Die anderen Leute, die auf den Bus warteten, waren klug genug, ein paar Schritte vom Randstein zurückzutreten, als er kam, aber Eddie blieb wie angewurzelt stehen. Kurz bevor der Bus anhielt, spritzte er ihn von oben bis unten mit Schmutzwasser aus dem überfluteten Rinnstein voll. Jetzt war Eddie nicht nur naß, sondern auch verdreckt; etwas von dem Schmutzwasser war in seine Aktentasche geraten und schwappte darin herum.
Er hatte ein Exemplar seines Romans Sechzigmal mit einer Widmung für Ruth versehen, obwohl das Buch schon vor drei Jahren erschienen war und Ruth es bestimmt längst gelesen hatte, sofern es sie interessierte. Eddie hatte sich oft ausgemalt, welchen Kommentar Ted Cole zu Sechzigmal abgeben würde. »Da war wohl der Wunsch der Vater des Gedankens«, würde er vermutlich zu seiner Tochter sagen. Oder: »Alles maßlos übertrieben. Deine Mutter hat diesen Kerl kaum gekannt.« Was Ted wirklich zu Ruth gesagt hatte, war interessanter und absolut zutreffend. Er sagte nämlich: »Das arme Kind ist nie drüber weggekommen, daß es deine Mutter gefickt hat.«
»Eddie ist doch kein Kind mehr, Daddy«, hatte Ruth eingewandt. »Wenn ich Mitte Dreißig bin, ist Eddie O’Hare Mitte Vierzig, habe ich recht?«
»Er ist trotzdem noch ein Kind, Ruthie«, hatte Ted erklärt. »Eddie wird immer ein Kind bleiben.«
Und wirklich wirkte Eddie, als er sich auf der Madison Avenue in den Bus zwängte, mit seiner aufgestauten Unruhe und Besorgnis wie ein achtundvierzigjähriger Halbwüchsiger. Der Fahrer ärgerte sich über ihn, weil er das Fahrgeld nicht genau abgezählt bereithielt; denn obwohl Eddie so viel Kleingeld hatte, daß es seine Hosentasche ausbeulte, war die Hose so naß, daß er die Münzen einzeln herausfischen mußte. Die Leute, die hinter ihm standen – größtenteils noch im Regen –, ärgerten sich ebenfalls über ihn.
Wenig später goß Eddie bei dem Versuch, das Schmutzwasser aus seiner Aktentasche zu leeren, eine bräunliche Pfütze auf den Schuh eines älteren Mannes, der kein Englisch sprach. Die Sprache, in der der Mann seiner Entrüstung Ausdruck verlieh, verstand Eddie nicht; er wußte nicht einmal, um welche Sprache es sich handelte. Außerdem war es überhaupt schwierig, etwas zu hören, und unmöglich, die sporadischen Ansagen des Fahrers zu verstehen – die Namen der Querstraßen, die Haltestellen oder potentiellen Haltestellen, an denen sie vorbeifuhren.
Daß Eddie nichts hören konnte, lag daran, daß auf einem Platz am Gang
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