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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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verschiedenen Generationen an und gingen auf unterschiedliche Partys. Und obwohl Ted Coles Kinderbücher nach wie vor viele Leser fanden, verblaßte sein Ruhm nach und nach, zumindest in den Hamptons. Eddie gefiel der Gedanke, daß Ted nicht annähernd so berühmt war wie seine Tochter.
    Doch auch wenn sich Ted Coles Ruhm langsam verflüchtigte, war er beim Squashspielen, vor allem in seiner tückischen Scheune, ein ebenso zäher Gegner wie Jimmy. Mit seinen siebenundsiebzig Jahren hätte er Eddie im Herbst 1990 noch genauso problemlos vernichtend geschlagen wie damals im Sommer 1958. Eddie war wirklich ein lausiger Spieler. In seiner ungeschickten und langsamen Art sah er nie voraus, welchen Weg der gegnerische Ball nehmen würde; er erwischte ihn immer zu spät, wenn überhaupt, und entsprechend hastig mußte er ihn zurückschlagen. Nicht einmal sein Lob-Aufschlag, den er noch am besten konnte, hätte in Teds Scheune funktioniert, weil die Decke dort keine drei Meter hoch war.
    Ruth, die immerhin so gut spielte, daß sie in der Jungenmannschaft von Exeter an dritter Stelle plaziert war, hatte ihren Vater auf seinem hanebüchenen heimischen Squashcourt auch noch nie besiegt; ihr bester Aufschlag war ebenfalls ein Lob. Ruth war im Herbst 1990 sechsunddreißig, und der einzige Grund, weshalb sie überhaupt je nach Hause fuhr, war der, daß sie ihren Vater in seiner Scheune schlagen wollte, bevor er starb. Doch trotz seiner siebenundsiebzig Jahre deutete bei Ted Cole nichts auf einen baldigen Tod hin.
    Vor dem New York Athletic Club, an der Ecke Central Park South und 7th Avenue, prasselte der Regen auf den cremefarbenen Baldachin am Eingang; hätte Eddie gewußt, wie viele Clubmitglieder hier bereits Schlange standen und auf ein Taxi warteten, hätte er die Bar längst verlassen, um sich anzustellen. So aber las und verbesserte er sein zu langes, verschmiertes Manuskript immer wieder, ohne sich darüber im klaren zu sein, daß er sich um die Vorbereitung seiner Rede weniger Gedanken hätte machen sollen als darum, daß er womöglich zu spät kam, um sie zu halten.
    Hier, an der Kreuzung 59th Street und 7th Avenue, war er zu weit vom 92nd Street Y (an der Lexington Avenue) entfernt, um zu Fuß zu gehen – zumal im Regen, da er weder einen Regenmantel noch einen Schirm dabeihatte. Freilich hätte er wissen müssen, daß es bei Regenwetter in New York nahezu unmöglich ist, ein Taxi zu bekommen, schon gar in den frühen Abendstunden. Aber Eddie war zu sehr mit den Mängeln seiner Rede beschäftigt; er neigte von jeher zum Pessimismus, und nun wünschte er sich, er hätte sich gar nicht erst bereit erklärt, eine solche Rede zu halten.
    Wer bin ich, dachte er unglücklich, daß ich mir anmaße, Ruth Cole vorzustellen?
    Schließlich bewahrte ihn der Barkeeper davor, das gefürchtete Ereignis ganz zu versäumen. »Möchten Sie noch ein Diet Coke, Mr. O’Hare?« fragte er. Eddie sah auf die Uhr. Wäre Marion in diesem Augenblick in der Bar gewesen, hätte sie im Gesicht ihres ehemaligen Liebhabers etwas von dem Herzeleid des Sechzehnjährigen erblickt.
    Inzwischen war es 7 Uhr 20; Eddie wurde in zehn Minuten im Y erwartet. Die Fahrt bis zur Kreuzung Lexington und 92nd dauerte mindestens zehn Minuten, vorausgesetzt, Eddie bekam ein Taxi, sobald er aus der Tür des Clubs trat. Statt dessen landete er am Ende einer langen Schlange mißmutiger Clubmitglieder. Das blutrote Emblem des N.Y.A.C. – ein geflügelter Fuß – auf dem cremefarbenen Baldachin triefte vor Nässe.
    Eddie schob die Bücher und das Manuskript seiner Rede in seine ausgebeulte braune Aktentasche. Er würde zu spät kommen, wenn er auf ein Taxi wartete. Zwar würde er klatschnaß werden, aber seine Kleidung hatte, schon bevor er sie dem Regen aussetzte, etwas professoral Unordentliches an sich gehabt. Obwohl im New York Athletic Club Sakko und Krawatte vorgeschrieben waren und obwohl Eddie sich aufgrund seines Alters und seiner Herkunft in Sakko und Krawatte wohlfühlte – schließlich war er ein Exonianer –, bedachte der Portier des Clubs seinen Aufzug stets mit einem Blick, als verstieße Eddie gegen die Kleidervorschriften.
    Ohne lange zu überlegen, trabte Eddie im Regen, der sich zu einem Platzregen entwickelt hatte, die Central Park South entlang. Als er sich dem St. Moritz und dann dem Plaza näherte, träumte er davon, am Bordstein eine Reihe Taxis vorzufinden, die auf Hotelgäste warteten. Statt dessen fand er zwei Reihen entschlossener

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