Witwe für ein Jahr (German Edition)
Schlüssel bereits in einem Kuvert an ihren Anwalt, der Ted die Liste mit Marions Forderungen noch einmal übermitteln würde.
Sie war also wahrscheinlich nicht nach New York gefahren. Diese Erkenntnis überraschte Eddie nicht sonderlich. Daß Marion ihren Wagen am Bahnhof in New London abgestellt hatte, bedeutete aber auch nicht unbedingt, daß sie nach New England zurückgekehrt war; gut möglich, daß ihr Ziel weiter nördlich lag. (Montreal vielleicht. Eddie wußte, daß sie Französisch sprach.)
Was mag nur in ihrem Kopf vorgehen? fragte sich Eddie – eine Frage, die er sich siebenunddreißig Jahre lang stellen sollte. Was macht sie? Und wo ist sie?
II
Herbst 1990
Eddie mit achtundvierzig
Es war an einem regnerischen, frühen Montagabend im September. Eddie O’Hare stand steif am Tresen in der Bar des New York Athletic Club. Er war achtundvierzig, sein ehemals dunkelbraunes Haar war kräftig mit Silbergrau durchzogen, und da er versuchte, im Stehen zu lesen, fiel ihm immer wieder eine dichte Haarsträhne ins Gesicht. Und immer wieder strich er sie mit seinen langen Fingern wie mit einem Kamm zurück; einen richtigen Kamm hatte er nie dabei. Sein lockeres Haar sah frischgewaschen und wild aus; ehrlich gesagt, war es das einzig Wilde an ihm.
Eddie war groß und dünn. Im Sitzen wie im Stehen hielt er die Schultern geradezu unnatürlich straff und nahm eine fast militärisch anmutende, übertrieben aufrechte Haltung ein. Er litt an chronischen Schmerzen im Lendenwirbelbereich. Gerade hatte er beim Squashspielen drei Sätze hintereinander gegen einen kleinen, glatzköpfigen Mann namens Jimmy verloren. Eddie konnte sich Jimmys Nachnamen nie merken. Jimmy war Rentner – Gerüchten zufolge war er über siebzig – und verbrachte seine Nachmittage im New York Athletic Club, wo er darauf wartete, daß sich Squashpartien mit jüngeren Spielern ergaben, die von ihren Partnern versetzt worden waren.
Eddie, der ein Diet Coke trank – er trank nie etwas anderes –, hatte schon früher gegen Jimmy verloren, denn natürlich war auch er schon versetzt worden. Er hatte ein paar gute Freunde in New York, aber keiner von ihnen spielte Squash. Eddie war erst 1987, also vor drei Jahren, Mitglied in diesem Club geworden, kurz nach dem Erscheinen seines vierten Romans, Sechzigmal. Trotz positiver (wenn auch etwas lauer) Rezensionen hatte das Thema des Romans dem einzigen Angehörigen des Mitgliederausschusses, der ihn gelesen hatte, nicht behagt. Ein anderes Ausschußmitglied hatte Eddie anvertraut, seine Aufnahme in den Club hätte er letzten Endes seinem Nachnamen zu verdanken gehabt und nicht seinen Romanen. (Der Name O’Hare hatte im New York Athletic Club eine lange Tradition, wenngleich keiner seiner Träger mit Eddie verwandt war.)
Doch obwohl Eddie die wählerische Attitüde und das widerwillige Entgegenkommen des Clubs spürte, genoß er es, ihm anzugehören. Der Club bot ihm eine günstige Übernachtungsmöglichkeit, wann immer er sich in der Stadt aufhielt. Seit nunmehr zehn Jahren, seit dem Erscheinen seines dritten Romans, Abschied von Long Island , kam Eddie relativ häufig in die Stadt, wenn auch nur für ein, zwei Nächte. 1981 hatte er sein erstes und einziges Haus gekauft – in Bridgehampton, etwa fünf Autominuten von Ted Coles Haus in Sagaponack entfernt. In diesen neun Jahren als steuerzahlender Einwohner von Suffolk County war Eddie nicht ein einziges Mal an Teds Haus in der Parsonage Lane vorbeigefahren.
Eddies Haus befand sich in der Maple Lane, in so unmittelbarer Nähe des Bahnhofs von Bridgehampton, daß Eddie zu Fuß zum Zug gehen konnte, was jedoch selten vorkam. Eddie konnte Züge nicht ausstehen. Sie fuhren so dicht an seinem Haus vorbei, daß er manchmal das Gefühl hatte, in einem Zug zu wohnen. Und obwohl die Maklerin selbst zugegeben hatte, daß die Lage des Hauses einiges zu wünschen übrigließ, war es erschwinglich gewesen und nicht ganz so reizlos, daß er es nicht regelmäßig hätte vermieten können. Eddie fand die Hamptons im Juli und August unerträglich, und er verdiente ein horrendes Geld damit, daß er sein äußerst bescheidenes Haus in diesen irrwitzigen Monaten vermietete.
Mit dem Geld, das er mit dem Schreiben verdiente, und seinen sommerlichen Mieteinnahmen brauchte Eddie nur ein Semester pro akademisches Jahr zu unterrichten. Er war ständig als Schriftsteller an irgendeinem College oder einer Universität zu Gast, wo er auch auf dem Campus wohnte. Außerdem fuhr
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