Witwe für ein Jahr (German Edition)
einen unfairen Vorteil verschaffte, noch immer besiegen konnte.
»Hallo, Ruth, ich habe mich darauf gefreut, dich wiederzusehen«, sagte Eddie.
»Hallo … wieder einmal«, sagte Ruth, während sie ihm die Hand gab. Sie hatte die gleichen kurzen, dicken Finger wie ihr Vater.
»Ach«, sagte der Lektor von Random House. »Ich wußte gar nicht, daß ihr beide euch kennt.« Ruth hatte auch das schiefe Lächeln ihres Vaters, ein Lächeln, das Eddie die Sprache verschlug.
»Möchtest du dich erst frisch machen?« fragte sie Eddie. Und wieder nahte die onkelhafte, große Lektorenhand und legte sich, etwas zu vertraulich, zwischen Eddies Schulterblätter.
»Ja, ja, gestehen wir Mr. O’Hare ein paar Minuten zu, um rasch einige Renovierungsarbeiten vorzunehmen«, sagte Ruths neuer Lektor.
Erst als Eddie allein im Waschraum stand, wurde ihm klar, in welchem Umfang »Renovierungsarbeiten« angebracht waren. Er war nicht nur naß und verdreckt; an seiner Krawatte hing eine Zellophanhülle, vermutlich von einer Zigarettenpackung, und ein Kaugummipapier, das bei näherer Betrachtung einen ausgelutschten Kaugummi enthielt, klebte an seinem Hosenstall. Sein Hemd war klatschnaß. Daß es sich bei den Flecken um seine Brustwarzen handelte, erkannte er im Spiegel zunächst nicht; er versuchte, sie wegzuwischen, als wären es ebenfalls Kaugummispuren.
Er hielt es für das beste, Sakko und Hemd auszuziehen und kräftig auszuwringen; auch aus seiner Krawatte drückte er das überschüssige Wasser. Doch als er sich wieder anzog, stellte er fest, daß sowohl die Krawatte als auch das Hemd höchst eigenartig verknittert waren und sein ehemals blütenweißes Hemd auf einmal blaßrosa Streifen hatte. Er betrachtete seine Hände, an denen die vertraute rote Tinte seines Korrekturstifts Flecken hinterlassen hatte, und noch bevor er einen Blick in seine Aktentasche warf, wußte er, daß die in seinem Redemanuskript rot ausgeführten Korrekturen verlaufen waren und die feuchten Seiten rosa eingefärbt hatten.
Als er sich das Manuskript mit seinen einführenden Worten ansah, stellte er fest, daß sämtliche handgeschriebenen Änderungen bis zur Unkenntlichkeit verwischt oder verblaßt waren und der ursprünglich mit Maschine geschriebene Text, der sich nun von einem rosafarbenen Hintergrund abhob, viel weniger gut zu lesen war als zuvor, als er noch von schneeweißen Seiten abstach.
Das viele Kleingeld zog sein Sakko auf einer Seite nach unten, aber Eddie konnte nirgends einen Papierkorb entdecken. In dem Bewußtsein, damit hoffentlich den Höhepunkt seines unbedachten Verhaltens an diesem Tag erreicht zu haben, warf er sein gesamtes Kleingeld in die Toilette. Nachdem er gespült und das Wasser sich wieder beruhigt hatte, stellte er, resigniert wie üblich, fest, daß die Quarters auf dem Grund der Toilettenschüssel liegengeblieben waren.
Ruth benutzte nach Eddie den Waschraum. Als er ihr hinter die Bühne folgte, während sich alle anderen in den Zuschauerraum und auf ihre Plätze begaben, sah sie ihn über die Schulter an und meinte: »Ein seltsamer Ort für einen Wunschbrunnen, findest du nicht?« Er brauchte ein oder zwei Sekunden, um zu begreifen, daß sie auf die Münzen in der Toilettenschüssel anspielte; ob sie wußte, daß das Geld von ihm stammte, konnte er freilich nicht feststellen.
Dann sagte sie, diesmal ganz direkt und ohne ironischen Unterton: »Ich hoffe, wir essen anschließend zusammen – und haben Gelegenheit zum Reden.«
Eddies Herz machte einen Satz. Meinte sie damit, daß sie beide allein essen würden? Selbst Eddie war nicht so naiv, sich Hoffnungen zu machen. Sie hatte gemeint, mit Karl und mit Melissa und bestimmt auch mit ihrem onkelhaften neuen Lektor von Random House – samt seinen großen, allzu vertraulichen Händen. Aber vielleicht gelang es Eddie, einen Augenblick mit ihr allein zu reden; wenn nicht, konnte er ihr vielleicht ein Treffen in privaterem Rahmen vorschlagen.
Er lächelte dümmlich, fasziniert von ihrem attraktiven Gesicht, das man durchaus als hübsch hätte bezeichnen können. Ruth hatte Marions dünne Oberlippe. Die etwas hängenden vollen Brüste hatte sie ebenfalls von ihrer Mutter. Da Ruth jedoch kleiner und weniger schlank war als Marion, wirkte ihr Busen zu groß im Verhältnis zum restlichen Körper. Außerdem hatte sie die kurzen, stämmigen Beine ihres Vaters.
Ruths schwarzes T-Shirt war ein teures Stück. Es paßte ihr wie angegossen. Es war aus seidigem Material – bestimmt
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