Witwe für ein Jahr (German Edition)
kaum erwarten konnte, ihn kennenzulernen.
Was die beiden Freundinnen betraf, die damals in Exeter denselben Jungen »anhimmelten«, vermutete Eddie ganz richtig, auch wenn er es nicht wissen konnte, daß Ruth in der High-School noch mit keinem Jungen geschlafen hatte. Sie schaffte es sogar – und das war in den siebziger Jahren keineswegs einfach –, auch ihre College-Zeit ohne Sex zu überstehen. (Hannah freilich wartete nicht so lange. Sie schlief in Exeter einige Male mit einem Jungen und hatte ihre erste Abtreibung hinter sich, ehe sie mit dem College fertig war.)
In Ruths Roman werden die der Academy verwiesenen Schülerinnen von den Eltern des einen Mädchens in das im Titel angesprochene Waisenhaus gebracht. Dort bekommt die eine ihr Baby, entschließt sich dann aber, es zu behalten, weil sie es nicht übers Herz bringt, es zur Adoption freizugeben. Die andere läßt eine illegale Abtreibung vornehmen. Der Junge aus Exeter, theoretisch zweifacher Vater, hat inzwischen seinen Abschluß gemacht und heiratet das Mädchen mit dem Kind. Das junge Paar gibt sich große Mühe, seine Ehe des Kindes wegen aufrechtzuerhalten, doch nach achtzehn Jahren geht sie endgültig in die Brüche. Das Mädchen, das sich für die Abtreibung entschieden hat, jetzt eine unverheiratete Frau Ende Dreißig, tut sich wieder mit ihrem Exfreund zusammen und heiratet ihn schließlich.
Den ganzen Roman hindurch steht die Freundschaft der beiden jungen Frauen auf dem Prüfstand. Die Entscheidung zwischen Abtreibung und Adoption und das sich wandelnde moralische Klima jener Zeit verfolgen sie über die Jahre hinweg. Zwar stellt Ruth beide Frauen sympathisch dar, aber ihre persönliche Einstellung zur Abtreibung (sie stand auf seiten der Befürworter) entspricht der, die von den Feministinnen proklamiert wurde. Obwohl es sich um einen Bildungsroman handelte, wurde Im selben Waisenhaus kritisch gewürdigt – und in mehr als fünfundzwanzig Sprachen übersetzt.
Natürlich gab es auch Leute, denen das Buch nicht gefiel. Daß es mit dem bitteren Ende der Freundschaft zwischen den beiden Frauen endet, machte nicht alle Feministinnen glücklich. Daß die Frau, die sich für die Abtreibung entschieden hat, von ihrem Exfreund nicht schwanger werden kann, wurde von einigen feministischen Abtreibungsbefürwortern als »Anti-Abtreibungs-Mythos« angeprangert, obwohl Ruth nirgends unterstellt, daß die Frau deshalb nicht schwanger werden kann, weil sie früher einmal abgetrieben hat. »Vielleicht kann sie nicht schwanger werden, weil sie schon achtunddreißig ist«, sagte Ruth in einem Interview, was ihr die herbe Kritik mehrerer Frauen eintrug, die behaupteten, im Namen all jener Frauen über vierzig zu sprechen, die sehr wohl schwanger werden können.
So ein Roman war das. Kein Wunder, daß Ruth damit nicht ungeschoren davonkam. Die geschiedene Frau, die also, die kurz nach dem Ausschluß aus der Exeter Academy ihr Baby bekommen hat, macht ihrer Freundin das Angebot, noch ein Baby zu bekommen und es ihr zu geben. Sie stellt sich als Leihmutter zur Verfügung – befruchtet mit dem Sperma ihres Exmannes! Aber die Freundin lehnt das Angebot ab und findet sich mit ihrer Kinderlosigkeit ab. Im Roman liegt dem Vorschlag der Exfrau, die Rolle einer »Leihmutter« zu spielen, ein fragwürdiges Motiv zugrunde; und so braucht man sich nicht zu wundern, daß einige ihrer Zeit vorauseilende Leihmütter über das Buch herfielen, weil sie sich falsch dargestellt fühlten.
Ruth Cole gab sich schon damals mit sechsundzwanzig keine große Mühe, sich ihren Kritikern gegenüber zu rechtfertigen. »Schauen Sie, es ist ein Roman«, sagte sie. »Es sind meine Figuren, und sie tun, was ich will.« Ähnlich souverän wischte sie die übliche Charakterisierung beiseite, nämlich daß Im selben Waisenhaus ein Buch »über die Abtreibung« sei. »Es ist ein Roman«, wiederholte Ruth. »Kein Buch ›über‹ irgend etwas. Es ist eine gute Geschichte, die zeigt, daß sich die Entscheidungen, die zwei Frauen in jungen Jahren treffen, auf ihr restliches Leben auswirken. Die Entscheidungen, die wir treffen, haben doch wirklich Folgen für unser weiteres Leben, oder etwa nicht?«
Nicht wenige ihrer begeisterten Leser vergraulte Ruth durch das Eingeständnis, daß sie selbst nie abgetrieben habe. Einige ihrer Leserinnen, die eine Abtreibung mitgemacht hatten, fühlten sich auf den Schlips getreten, weil Ruth sich das Ganze »nur vorgestellt« hatte. »Ich bin mit Sicherheit
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