Witwe für ein Jahr (German Edition)
bedient hatte. Sie verdiente genug Geld, um sich ein Erdgeschoßzimmer in der Bergstraat zu kaufen, das sie zeitweise an eine andere Prostituierte vermietete. Obwohl sie ihr Arbeitspensum auf nur drei Tage in der Woche reduzierte, fünf Stunden pro Tag, konnte sie sich zweimal im Jahr einen Urlaub leisten. In der Regel verbrachte sie Weihnachten in einem Skigebiet in den Alpen, und im April oder Mai fuhr sie irgendwohin, wo es warm war. Einmal war sie über Ostern in Rom gewesen. Sie war auch in Florenz gewesen und in Spanien, Portugal und in Südfrankreich.
Rooie hatte sich angewöhnt, Harry Hoekstra zu fragen, wo sie hinfahren sollte. Schließlich hatte er unzählige Reiseführer gelesen. Obwohl er noch an keinem der Orte gewesen war, die Rooie aufsuchen wollte, informierte er sich immer genau über die Hotels; er wußte, daß Rooie sich mit Vorliebe in einer »mäßig teuren« Umgebung aufhielt. Und er wußte, daß ihr ein Urlaub in einer warmen Region zwar wichtig war, daß es ihr aber noch mehr Spaß machte, die Weihnachtszeit in einem Skigebiet zu verbringen. Jeden Winter nahm sie ein paar Stunden privaten Skiunterricht, kam aber nie über die Anfängerklassen hinaus. Wenn der Skiunterricht beendet war, fuhr sie allein, nur halbe Tage und auch nur, bis sie jemanden kennenlernte. Rooie lernte immer jemanden kennen.
Sie erzählte Harry, es mache Spaß, Männer kennenzulernen, die nicht wußten, daß sie eine Prostituierte war. Manchmal handelte es sich um betuchte junge Männer, die ausgiebig Ski fuhren und sich abends noch ausgiebiger vergnügten; häufiger waren es ruhige, eher melancholische Männer, die nur durchschnittlich gut Ski fuhren. Ein besonderes Faible hatte Rooie für geschiedene Väter, die nur jedes zweite Jahr Weihnachten mit ihren Kindern verbringen durften. (Im allgemeinen ließen sich Väter mit Söhnen leichter verführen als Väter mit Töchtern.)
Es gab Rooie jedesmal einen Stich, wenn sie in einem Restaurant einen Mann mit einem Kind sah. Oft unterhielten sich die beiden gar nicht, oder das Gespräch schleppte sich mühsam dahin – meist ging es ums Skifahren oder ums Essen. In den Gesichtern der Väter entdeckte sie eine Art von Einsamkeit, die zwar anders, aber doch ähnlich war wie die Einsamkeit auf den Gesichtern ihrer Kolleginnen in der Bergstraat.
Eine Romanze mit einem Vater, der mit seinem Kind Urlaub machte, hatte immer etwas Delikates und Heimlichtuerisches an sich. Da es in Rooies Leben nicht viele echte Romanzen gab, glaubte sie, Delikatesse und Heimlichtuerei würden die erotische Spannung erhöhen; und auch die Vorsicht, die erforderlich war, wenn man Rücksicht auf die Gefühle eines Kindes nehmen mußte, hatte einen gewissen Reiz.
»Hast du keine Angst, daß diese Burschen dich in Amsterdam besuchen wollen?« hatte Harry sie gefragt. (In dem Jahr war Rooie in Zermatt gewesen.) Aber nur einmal hatte einer darauf bestanden, nach Amsterdam zu kommen. Für gewöhnlich gelang es ihr, es ihnen auszureden.
»Was sagst du ihnen denn, was du beruflich machst?« fragte Harry sie ein andermal. (Rooie war gerade aus Pontresina zurückgekommen, wo sie einen Mann kennengelernt hatte, der mit seinem Sohn im Badrutts’s Palace in St. Moritz gewohnt hatte.)
Die rote Dolores tischte den Vätern immer eine bequeme Halbwahrheit auf. »Ich verdiene einigermaßen gut mit Prostitution«, pflegte Rooie zu sagen und ließ den Schock erst einmal wirken. »Das soll nicht heißen, daß ich eine Prostituierte bin«, fuhr sie dann fort. »Ich bin nur eine untüchtige Vermieterin, die an Prostituierte vermietet …«
Fragte der Betreffende weiter, schmückte sie ihre Lüge aus. Ihr Vater, ein Urologe, sei gestorben; sie habe seine Praxis in ein Schaufensterzimmer umgewandelt. An Prostituierte zu vermieten sei zwar weniger einträglich, aber »abwechslungsreicher«, als Praxisräume an einen Arzt zu vermieten.
Sie genoß es, Harry Hoekstra die Geschichten zu erzählen, die sie sich ausgedacht hatte. Es gab tatsächlich einen Urologen, der Rooies Bewunderer und ihr treuester Freier war, bis er, mit über achtzig, eines Sonntagnachmittags in ihrem Zimmer in der Bergstraat aus heiterem Himmel starb. Er war ein so treuer Schatz, daß er oft den Sex vergaß, für den er zahlte. Rooie hatte den liebevollen alten Dr. Bosman sehr gern gehabt, der ihr schwor, daß er seine Frau, seine Kinder und seine vielen Enkel über alles liebe, und Rooie unermüdlich und voller Stolz Familienfotos zeigte.
An dem
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