Witwe für ein Jahr (German Edition)
dieses Geheimnis hatte die rote Dolores für sich behalten.
Harry hatte zum erstenmal von Rooies Engländer gehört, als sie von einem Skiurlaub aus Klosters zurückkam. Auf Harrys Empfehlung hin war sie im Chesa Grischuna abgestiegen, wo sie einen Engländer namens Richard Smalley kennengelernt hatte. Smalley war geschieden und verbrachte die Weihnachtsferien mit seinem sechsjährigen Sohn, einem bedauernswerten Neurastheniker, dessen ständige Nervosität und Erschöpfung Smalley der überbehütenden Mutter des Jungen anlastete. Rooie fand die beiden anrührend. Der Junge klammerte sich an seinen Vater, und er schlief so unruhig, daß an Sex nicht zu denken war. Richard Smalley und Rooie gediehen bis zu »ein paar heimlichen Küssen«, wie Rooie Harry erzählte, »und ziemlich heftigem Geknutsche«.
Sie hatte die größte Mühe, Smalley davon abzuhalten, sie im Jahr darauf in Amsterdam zu besuchen. In den nächsten Weihnachtsferien war die Exfrau an der Reihe, sich um den neurasthenischen Sohn zu kümmern. Richard Smalley fuhr allein nach Klosters. Im Laufe des Jahres hatte er Rooie in Briefen und Telefonanrufen dazu überredet, sich mit ihm an Weihnachten im Chesa zu treffen – ein gefährlicher Präzedenzfall, wie Harry Rooie klargemacht hatte. (Es war das erste Mal, daß sie einen zweiten Weihnachtsurlaub am selben Skiort verbrachte.)
Sie und Smalley hätten sich verliebt, erklärte sie Harry bei ihrer Rückkehr nach Amsterdam. Richard Smalley wolle sie heiraten; und er wünsche sich ein Kind von ihr.
»Aber weiß er denn, daß du eine Nutte bist?« hatte Harry gefragt. Wie sich herausstellte, hatte Rooie sich Richard Smalley gegenüber als ehemalige Prostituierte ausgegeben; sie hatte ihm die halbe Wahrheit gesagt und gehofft, das würde genügen.
In diesem Winter vermietete sie ihr Zimmer in der Bergstraat noch an zwei weitere junge Frauen; da sie jetzt von drei Prostituierten Miete für das Zimmer bekam, entsprachen ihre Einnahmen fast dem, was sie zuvor als Prostituierte verdient hatte. Davon konnte sie zumindest ihren Lebensunterhalt bestreiten, bis sie Smalley heiratete, und als »zusätzliches Einkommen« danach war es mehr als genug.
Aber als sie Smalley heiratete und zu ihm nach London zog, nutzten die drei Fensterprostituierten in Amsterdam die Abwesenheit ihrer Vermieterin aus; Rooie hatte sorgfältig darauf geachtet, nicht an Drogenabhängige zu vermieten, aber jetzt konnte sie nicht mehr kontrollieren, was die Mädchen mit ihrem alten Zimmer in der Bergstraat anstellten. Harry hatte versucht, ein Auge auf das Zimmer zu haben, aber Rooies Mieterinnen nahmen sich einiges heraus; bald begann eine von ihnen, an eine vierte Prostituierte unterzuvermieten, und im Nu ging eine fünfte ein und aus – eine von den beiden war drogensüchtig. Wenig später verschwand eine von Rooies ursprünglichen Mieterinnen von der Bildfläche; sie blieb Rooie zwei Monatsmieten schuldig, ehe diese überhaupt mitbekam, daß sie sich aus dem Staub gemacht hatte.
Rooie war schwanger, als sie nach Amsterdam zurückkehrte, um sich vom Zustand ihres Zimmers in der Bergstraat zu überzeugen. Ihr Instinkt riet ihr, es nicht aufzugeben, obwohl sie kaum die Unkosten hereinbekam – und wahrscheinlich noch draufzahlte, wenn sie die notwendigen Reparaturen ausführen und alles gründlich reinigen ließ. Ihr Engländer drängte sie, das Zimmer zu verkaufen. Aber Rooie fand zwei Exprostituierte, beides Holländerinnen, die wieder ins Geschäft einsteigen wollten; Rooie vermietete exklusiv an sie, weil sie glaubte, damit die Instandhaltungskosten tragen zu können. »Ich pfeif drauf, Gewinn zu machen«, erklärte sie Harry. »Ich möchte das Zimmer einfach behalten, nur für den Fall, daß es in England nicht funktioniert.«
Sie mußte schon damals, als sie im siebten Monat schwanger war, geahnt haben, daß die Sache mit Richard Smalley nicht »funktionieren« würde. Nach ihrer Rückkehr nach London setzten schließlich die Wehen ein, aber die Geburt verlief von Anfang an ungut. Obwohl in letzter Minute noch ein Kaiserschnitt gemacht wurde, kam das Kind tot zur Welt. Rooie bekam ihre tote Tochter nie zu Gesicht. Daraufhin setzte Smalley ihr mit seinen vorhersehbaren Vorwürfen zu. Offenbar sei irgend etwas bei ihr nicht in Ordnung, und das habe die Totgeburt verursacht; und was bei ihr nicht in Ordnung sei, müsse etwas mit ihrem früheren Leben als Prostituierte zu tun haben – wahrscheinlich habe sie zuviel gefickt.
Eines
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