Witwe für ein Jahr (German Edition)
Hand. »Wenn du meinst, es wäre besser für dich, einen anderen Lektor zu haben – ich meine, besser für unsere Beziehung …«
»Nein!« rief Ruth. »Das meine ich auf gar keinen Fall!« Sie hatte ihre Hand nicht wegziehen wollen, aber es war geschehen. Jetzt versuchte sie, Allans Hand wieder zu nehmen, aber er hatte sie in den Schoß gelegt. »Ich meine, ich verdanke es einzig und allein dir, daß ich meinen letzten schlimmen Freund hatte. Es ist nicht einfach nur ein Titel.«
»Ich weiß, das hast du mir schon gesagt«, wiederholte er.
Es endete damit, daß sie die immer wieder auftauchende gruselige Frage besprachen, wer Grahams Vormund sein sollte, falls ihnen beiden etwas zustieß und Graham als Waise zurückblieb. Freilich war es äußerst unwahrscheinlich, denn Graham fuhr überallhin mit. Falls ihr Flugzeug abstürzte, würde er mit ihnen umkommen.
Aber Ruth konnte diese Frage einfach nicht auf sich beruhen lassen. So wie die Dinge lagen, war Eddie Grahams Pate und Hannah seine Patin. Weder Ruth noch Allan konnten sich Hannah als Ersatzmutter vorstellen. Obwohl sie Graham ins Herz geschlossen hatte, führte sie ein Leben, bei dem sie sich unmöglich um ein Kind kümmern konnte. Zwar beeindruckte sie Ruth und Allan durch die aufmerksame Zuwendung, die sie Graham zuteil werden ließ – auf jene unkomplizierte Art, zu der Frauen, die sich gegen eigene Kinder entschieden haben, im Umgang mit fremden Kindern manchmal fähig sind –, aber als Vormund für Graham war sie ungeeignet.
Und Eddie, der sich schon von jüngeren Frauen fernhielt, schien erst recht nicht zu wissen, was er mit Kindern anfangen sollte. In Grahams Gegenwart benahm er sich täppisch, ja ausgesprochen dumm. Er wurde so nervös, daß er damit sogar Graham ansteckte, und Graham war wahrhaftig kein nervöses Kind.
Als Allan und Ruth ins Stanhope zurückkehrten, waren sie beide betrunken. Sie gaben ihrem kleinen Jungen noch einen Gutenachtkuß. (Graham schlief in einem Rollbettchen in ihrem Schlafzimmer.) Sie wünschten auch Conchita eine gute Nacht. Noch bevor Ruth sich die Zähne geputzt und sich zum Bettgehen fertiggemacht hatte, schlief Allan tief und fest.
Ruth bemerkte, daß er das Fenster offengelassen hatte. Auch wenn die Luft in dieser Nacht besonders angenehm war, war es in New York nie ratsam, das Fenster offenzulassen – der Verkehrslärm am frühen Morgen hätte einen Toten aufgeweckt. (Allan weckte er nicht auf.)
In jeder Ehe gibt es fest verteilte Aufgaben; es gibt immer einen, der mehr oder minder dafür verantwortlich ist, den Mülleimer auszuleeren, und einen, der dafür zu sorgen hat, daß immer Kaffee oder Milch oder Zahnpasta oder Toilettenpapier im Haus ist. Allan war verantwortlich für die Temperatur im Haus: Er machte die Fenster auf und zu, er stellte den Thermostat ein, zündete Feuer im Kamin an oder ließ es ausgehen. Und deshalb ließ Ruth das Fenster in ihrem Zimmer im Stanhope offen. Als der Verkehrslärm sie am nächsten Morgen um fünf Uhr weckte und Graham ins große Bett schlüpfte und sich zwischen seine Eltern legte, weil er fror, sagte Ruth: »Wenn du das Fenster zumachst, Allan, können wir vielleicht alle noch einmal einschlafen.«
»Ich friere, Daddy«, sagte Graham. »Daddy friert auch. Er ist ganz kalt«, fügte er hinzu.
»Uns ist allen kalt, Graham«, antwortete Ruth.
»Aber Daddy ist eiskalt«, sagte Graham.
»Allan?« begann Ruth. Sie wußte Bescheid. Vorsichtig streckte sie ihren Arm über Graham hinweg, der sich an sie kuschelte, und berührte Allans kaltes Gesicht, ohne ihn anzusehen. Sie schob die Hand unter die Bettdecke, aber selbst dort fühlte sich Allan kalt an, so kalt wie der Badezimmerboden in Vermont an einem Wintermorgen.
»Komm, Liebchen, wir gehen ins andere Zimmer«, sagte Ruth zu Graham. »Wir lassen Daddy noch ein bißchen schlafen.«
»Ich will auch noch schlafen«, erklärte Graham.
»Komm, wir gehen ins andere Zimmer«, wiederholte Ruth. »Vielleicht kannst du bei Conchita schlafen.«
Barfuß gingen sie durch das Wohnzimmer der Suite, Graham, der seine Decke hinter sich herzog, mit seinem Teddybären im Arm, Ruth in T-Shirt und Slip; nicht einmal die Ehe hatte an ihren Schlafbekleidungsgewohnheiten etwas geändert. Sie klopfte an die Tür von Conchitas Schlafzimmer und weckte die alte Frau auf.
»Tut mir leid, Conchita, aber Graham möchte gern bei Ihnen schlafen«, sagte Ruth.
»Klar, Schätzchen, komm nur herein«, sagte Conchita zu Graham, der an ihr
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