Wladimir - die ganze Wahrheit über Putin
alle schuld, weil wir bei den Wahlen versagt und unserem Idol nicht ausreichend geholfen haben.
• Und was soll man noch zum Text folgenden Flugblatts sagen: »Bist du normal, ist Nawalny deine Wahl. Wählst du ihn nicht, bist du nicht dicht.«
Damit ist klar, dass man versucht, uns eine neue Ausgabe von Boris Jelzin – Wladimir Putin anzudrehen. Einen einzigartigen Anführer, der dazu berufen ist, in der superpräsidialen Republik an die Macht zu kommen, wo das Staatsoberhaupt de facto (wenn auch nicht de jure) die drei Machtstränge in seinen Händen konzentriert: die Exekutive, die Legislative und die Judikative.
Falls ich mich noch einen politischen Analytiker nennen kann, dann bin ich verpflichtet, die Situation nicht einen, sondern zwei Schritte im Voraus zu kalkulieren. Ja, man kann die Opposition um eine starke Figur herum konsolidieren – wie war das noch mit, sagen wir, Boris Jelzin 1989 bis 1991? Und was dann? Was kommt hinter der nächsten Kurve? Wieder dasselbe? Wie bei einem klassischen Alkoholiker (womit ich hier keineswegs Jelzin meine): Phase der Euphorie – Phase des Schlafs – Phase der Ernüchterung und Depression?
Wo sind heute die Demokraten, die vor mehr als zwanzig Jahren geschrien haben »Jelzin oder die Katastrophe!«? Wo sind die aufgeklärten Konservativen, die Putin Anfang des 21. Jahrhunderts für einen russischen Pinochet der kommunistischen Hinterlassenschaft hielten? Jetzt hassen sie das Regime von Jelzin und Putin und suchen nach einem neuen Führer, der endlich alles richten wird.
Nachdem wir die nach Schema F gedrehte, ermüdende Thriller-Serie Russische Geschichte gesehen haben, in der Gewalt und Rechtlosigkeit herrschen, sollen wir nun die Folge n+1 sehen. Das Drehbuch ist das Gleiche, es wurden nur neue Techniken verwendet, und man braucht eine 4-D-Brille. Doch wie attraktiv diese Zauberbrille auch sein mag, möchte man die Welt doch durch einfaches Glas betrachten, nachdem man dem verrauchten historischen Filmtheater für immer entkommen ist – selbst wenn es draußen in Strömen regnet.
Ich weiß, dass der Westen heute an der Figur Nawalny kein geringes Interesse hat. Dass ihn viele Politiker, Experten und Beobachter als russischen Anführer betrachten, der eine qualitative Alternative zu Wladimir Putin darstellt. Ist das kein gefährlicher Irrtum? Als ein Mensch, der diesen Politiker zwar nicht näher, aber verhältnismäßig lange (seit 2006) kennt, möchte ich gern folgende wichtige Dinge anmerken.
Alexei Nawalny ist zweifellos ein in vielerlei Hinsicht außergewöhnlicher Mensch. Er ist stark, klug, verfügt über eine beachtliche politische Intuition und ein herausragendes Charisma. Der Beweis dafür ist der Ausgang der Bürgermeisterwahlen in Moskau am 8. September, bei denen Nawalny souverän den zweiten Platz nach Sobjanin einnahm, indem er 27,24 Prozent der Stimmen erhielt. Er ist erst 37 Jahre alt, wurde 1976 in der Familie eines Offiziers im Dorf Butyn bei Moskau geboren. Er kann kein Sprössling der Nomenklatur genannt werden. Nawalny ist ein klassischer Selfmademan, der unter den schwierigen Bedingungen des modernen Russland, in dem die Fahrstühle einer vertikalen sozialen Mobilität an Lähmungserscheinungen leiden, alles (oder fast alles) aus eigener Kraft erreicht hat. Wenn ihm von bekannten und einflussreichen Menschen hinsichtlich seiner politischen Karriere geholfen wurde, dann dank seines Charmes und nicht aus anderen Gründen wie Verwandtschaft oder persönlichen Verpflichtungen.
Nawalny hat eine ganz ordentliche Bildung. Er besuchte zwei russische Hochschulen – die Lumumba-Universität und die Finanzakademie. 2010 studierte er ein halbes Jahr in den USA an der Yale University. Dabei bekam er ungeachtet seiner kurzen Studienzeit dort den formalen Status eines Yale-Fellows – Mitglied des Clubs der ehemaligen Studenten von Yale.
Gleichzeitig weist Alexei Nawalny ganz eindeutige Anzeichen von Soziopathie auf. Für ihn sind nicht persönliche Beziehungen, sondern nur pragmatische Interessen wichtig. Nur zwei Subjekte haben für den heutigen Oppositionellen Nummer eins wirklich eine Bedeutung – er selbst und die Macht. Die begehrte Macht, für deren Besitz er wirklich bereit ist, viel zu geben, wenn nicht alles.
Nicht zufällig wurde der Top-Oppositionelle dafür kritisiert, dass er kein detailliertes Wahlprogramm oder eine Ideologie vorzuweisen hat. Er kann sie auch gar nicht haben. Denn alles Fixierte, alles Feste, alles unumkehrbar
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