Wladimir - die ganze Wahrheit über Putin
aus, dieser Illusion sollte man sich nicht hingeben. Moralisch ist sie durchaus nicht immer bereit, eine wie auch immer geartete Alternative zu Putin darzustellen.
Trübe begann auch das Jahr 2013. Alexei Nawalny wurde mit der Anschuldigung konfrontiert, der Firma Kirowles einen großen wirtschaftlichen Schaden zugefügt zu haben. Bei dieser Firma handelt es sich um einen Staatsbetrieb der Holzverarbeitung und des Handels mit Wald im Verwaltungsgebiet Kirow, einer depressiven Region im Norden von Russland. Nach Meinung der Ermittler und der Staatsanwaltschaft hatte Nawalny, ohne über eine reale Vollmacht zu verfügen, Kirowles im Jahr 2009 faktisch geleitet, als er sich zum Berater in delikaten Fragen des Kirower Gouverneurs Nikita Belych gemacht hatte, der sein persönlicher Freund und ehemaliger Vorsitzender der Partei der Liberalen »Bund Rechter Kräfte« ist. Und er holte seinen Partner, den Unternehmer Pjotr Ofizerow, zu Kirowles. Mit ihm wollte er den Holzhandel wie auch die damit verbundenen finanziellen Flüsse unter seine völlige und nicht ganz uneigennützige Kontrolle bringen.
Bemerkenswerterweise baute sich die gesamte Fabel der Anschuldigungen auf Material aus dem Jahr 2009 auf, das allem Anschein nach unter aktiver Beteiligung der Administration des Verwaltungsgebiets von Kirow mit Nikita Belych an der Spitze gesammelt worden war. Denn schließlich war in jenem Jahr der Berater des Gouverneurs von Kirow, Nawalny, noch kein politischer Star von nationalen Dimensionen gewesen, und der Kreml sowie die föderalen Staatssicherheitsdienste hatten sich für ihn nicht sonderlich interessiert. Jedoch dienten als Grundlage der Anschuldigungen die Aufzeichnungen von Telefongesprächen zwischen Nawalny und Ofizerow sowie einigen Funktionären von Kirowles, die nur vom FSB im Verwaltungsgebiet von Kirow stammen konnten, von niemandem sonst.
Sollte das etwa bedeuten, dass der systemtreue Liberale Nikita Belych, den man inmitten der liberalen Fronde überaus schätzt und der ein Jugendgefährte von Anatoli Tschubais ist, schon damals seinen Freund und Mitstreiter loswerden wollte? Und dass er, als die föderale Macht dasselbe Interesse zeigte, dem Kreml seine Dienste angeboten hat? Alles verweist genau auf diese Theorie. Die liberale russische Öffentlichkeit zieht es allerdings vor, über solch offensichtliche Dinge nicht nachzudenken. Unsere prominente Fronde kann nun mal nicht glauben, dass ihr unverzichtbarer Weggenosse Belych mindestens genauso viel mit der Verfolgung Nawalnys zu tun hat wie die Verkörperung des Bösen auf der Welt – der blutrünstige Putin und dessen grimmiger Folterknecht, das Oberhaupt des Ermittlungskomitees von Russland, Alexander Bastrykin.
Die liberale Öffentlichkeit hat, indem sie sich auf eine tief verwurzelte historische russische Tradition stützt, eine Institution von »äußerst anständigen« und »händeschüttelnden« Menschen geschaffen, die alles dürfen – lügen, stehlen, mit dem Kreml kooperieren, so viel und so oft sie wollen. Auf die »äußerst anständigen« und »händeschüttelnden« Personen lassen sich die herkömmlichen moralischen Kategorien nicht anwenden.
Man kann und soll Putins Freund Igor Setschin, den Chef der Firma Rosneft, fragen, warum die Investitionen dieses Konzerns zu ineffektiv sind. Aber wehe, man stellt Anatoli Tschubais eine ähnliche Frage zu Rosnano – ehe man sich’s versieht, hat einen die progressive Öffentlichkeit zum Agenten des Kreml und dunkler tschekistischer Kräfte erklärt. Und die liberale Zensur ist um einiges stärker als die des Kreml, das kann ich Ihnen versichern.
Dasselbe trifft auf die Untersuchungsführer und Staatsanwälte zu, die Nawalny hinter Gitter gebracht haben – sie sind der Unrat des Menschengeschlechts (nach Auffassung der klassischen russischen Liberalen), aber Herr Belych, der für Untersuchungsführer und Staatsanwälte das nötige Material gesammelt hat, ist unantastbar und geradezu heilig.
Wohl kaum etwas auf dieser Welt lässt sich mit der Scheinheiligkeit und der Heuchelei der offiziellen russischen Liberalen vergleichen. Sie essen gern verbotenen schwarzen Kaviar auf Kreml-Empfängen, um anschließend nach Berlin/Washington/London zu fliegen und auf internationalen Konferenzen Vorträge darüber zu halten, wie grob, korrumpierbar und gefährlich das »blutrünstige Regime« namens Wladimir Putin für die Menschheit ist. Ein Regime, für das die Menschen, die sich als »liberale Opposition«
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