Wladimir - die ganze Wahrheit über Putin
etwas anderes. Jelzins Familie sah, in welchem Verhältnis Putin zu seinem ersten politischen Vater Sobtschak gestanden hatte und immer noch stand. Ein solches Verhältnis stellte tatsächlich ein gewisses Risiko dar, denn Sobtschak war nicht nur Opfer des maßvoll beflissenen Korschakows, sondern auch des im Zorne schrecklichen Boris Jelzins geworden. (Wie man weiß, ist der Bär das schrecklichste aller Raubtiere: Er brüllt nicht und fletscht nicht die Zähne, sondern lächelt den Dompteur an, doch dann schlägt er unerwartet mit der Tatze zu und zerschmettert ihm den Schädel. Ein solcher Bär war Jelzin.) Die Jelzins hofften, dass alle Interessen ihres Vaters und seiner Familie, im direkten und erweiterten Sinne, voll und ganz gewahrt würden. Ihre Intuition sollte sie nicht trügen.
1998 wurde Putin Direktor des FSB der Russischen Föderation, 1999 gleichzeitig Sekretär des Sicherheitsrats, einer nutzlosen, aber angesehenen Struktur, die es ihm ermöglichte, ein Büro im Kreml zu unterhalten und für den Präsidenten aus allen möglichen nichtigen Anlässen Spickzettelchen zu schreiben.
Viele, darunter auch der Autor dieser Zeilen, sind davon überzeugt, dass Jelzin in den letzten Lebensjahren von seiner Familie absichtlich mit allen möglichen Sedativa und sonstigen Präparaten gefüttert wurde, die zu einer Medikamentenabhängigkeit führten und damit den Menschen kontrollierbar machten, der, wenn auch mit angeschlagener Gesundheit, doch immer noch einiges Porzellan zerdeppern konnte. Der vorgezogene Rücktritt Jelzins am 31. Dezember 1999 sollte Putin nicht nur den raschen Sieg in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen 2000 sichern, sondern auch die ewige Angst vor den Kapriolen des »Opas« bannen – dass er zum Beispiel seinen Nachfolger Putin verjagt und sich einen neuen »Sohn« sucht.
Kapitel 8: Auf der Suche nach einem Bruder – Roman Abramowitsch
Putin hat eine Stärke, die viele unterschätzen. Wie Jelzin glaubt er an die Loyalität und nicht nur daran, dass zwischenmenschliche Beziehungen von eigennützigen Manipulationen beherrscht werden. WWP fand in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre in Moskau nicht nur die neue Liebe eines Vaters, sondern auch die eines Bruders. Sein Bruder wurde Roman Abramowitsch, ein postsowjetischer Geschäftsmann par excellence und exemplarisches Geschöpf der kriminellen Privatisierung der Jelzin-Zeit.
Eigentlich hatte Abramowitsch Anfang 1999 den damaligen Verkehrsminister Nikolai Aksjonenko für Jelzins idealen Nachfolger gehalten. Mit der Zeit jedoch schwenkte er auf Putin um. Der Glaube des Magnaten, WWP würde die Seinen nicht verraten, spielte für Putins gehobene Karriere eine bedeutende Rolle.
Sein erstes Geld hatte Abramowitsch als Soldat der sowjetischen Armee gemacht. Er diente in der Nähe der Stadt Kirschatsch im Verwaltungsgebiet von Wladimir, also buchstäblich im Herzen von Zentralrussland. Die folgende Geschichte erzählte Jelzins Tochter Tatjana Djatschenko in ihrem Blog auf der Website der Rundfunkstation Echo Moskau , und wir haben keinen Grund, sie nicht zu glauben: Abramowitsch war der heimliche Anführer einer Gruppe von Soldaten gewesen, die einen Wald abholzen sollten und mit dieser körperlich schweren Arbeit die ansässigen Bauern beauftragten. Daraufhin hatte er einen Teil des Holzes für brauchbares sowjetisches Geld an eben diese Bauern verkauft und sich zum ersten Mal als Unternehmer in jeglichem Sinne dieses Wortes gezeigt.
Der Weg des erwachsenen Geschäftsmanns Abramowitsch begann mit der Genossenschaft Ujut, die Kinderspielzeuge aus einem gesundheitsschädlichen Kunststoff herstellte. Abramowitschs Partner Jewgeni Schwidler und Waleri Ojf wurden späterhin Top-Manager der Erdölfirma Sibneft, die auf Abramowitschs Initiative hin geschaffen und privatisiert wurde, und schließlich auch Milliardäre – und zwar jeder international zugelassenen Währung.
Den ersten Schritt zu echten, »ausgewachsenen« Geschäftserfolgen machte Abramowitsch jedoch 1992, wonach er von der Moskauer Staatsanwaltschaft des Raubes eines ganzen Eisenbahnzugs von 55 Tankwagen mit Dieselkraftstoff des Erdöl verarbeitenden Betriebs von Uchta beschuldigt wurde. Der Geschäftsmann verbrachte einige Tage hinter Gittern, aber die russischen Rechtsorgane waren schon damals wild auf alle möglichen Liebesgaben, und bald fragte niemand mehr nach dem Verbleib der 55 Tankwagen. Abramowitsch hingegen wandelte sich zum achtbaren Chef der Erdölfirma
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