Wladimir - die ganze Wahrheit über Putin
im Sommer 2007 in Venedig, während der Biennale di Venezia. »Putins Bruder« kam dorthin auf seiner alten Jacht, die ein wenig schlechter ist als die Eclipse . Von den Ausmaßen her konnte es das Boot durchaus mit dem Ozean-Kreuzfahrtschiff aufnehmen, das ein paar Mal am Tag die Gewässer der venezianischen Lagune passiert. Die Jacht ankerte an einem günstigen Platz, direkt am bekannten Arsenale in der Nähe der Giardini, also dort, wo die Biennale stattfindet. Es konnte ja nicht sein, dass der russische Magnat weit entfernt vom Ziel seiner Reise anlegt! Noch weniger konnte er zulassen, dass Touristen und sonstige Gaffer nahe an seine Jacht treten und sie mit ihren unwürdigen Fingern berühren.
Deswegen wurde entgegen allen italienischen Gesetzen und venezianischen Gebräuchen die Anlegestelle des Boots mit einem Zaun abgegrenzt. Dieser hatte eine Pforte, in der sich ein Wachhäuschen mit einem Polizisten befand. Um diese Sondermaßnahme zum Schutz von Abramowitsch wenigstens irgendwie zu rechtfertigen, musste die Verwaltung von Venedig so tun, als würden Reparaturarbeiten durchgeführt. Lavori in corso!, drohte eine Aufschrift über dem Zaun, obwohl von Arbeiten dieser Art nichts zu sehen war.
Jedoch konnte nicht einmal der große Oligarch erreichen, dass man seinetwegen das Ausstellungsgelände für den Publikumsverkehr sperrt. Und so spazierte er in Jeans und T-Shirt durch die Gärten der Biennale, während das Glück dieser von der blauen Lagune durchwehten Minuten über sein undurchdringliches Gesicht huschte.
Auf all das muss WWP verzichten, egal wie reich, berühmt und mächtig er als Oberhaupt des weitläufigsten Landes der Welt auch sein mag.
Kapitel 9: Operation Nachfolger. Große und kleine Heldentaten – ein Flugzeug für Sobtschak und ein Revolver für den Generalstaatsanwalt
Die aktive Suche nach einem Nachfolger begann Anfang 1999, als offensichtlich wurde, dass Jelzin aus gesundheitlichen Gründen eine dritte Amtszeit nicht mehr durchstehen würde. Ein Tandem Primakow–Luschkow als Kollektivnachfolger war unannehmbar, weil sie sich Jelzin nicht verpflichtet gefühlt und seine Familie (im weiten Sinne dieses Wortes) vernichtet hätten – wirtschaftlich und dann vielleicht auch physisch.
Zunächst schlug Roman Abramowitsch, der zu diesem Zeitpunkt Boris Beresowski aus der Nische des Schatzmeisters des Jelzin-Clans verdrängt hatte, den Verkehrsminister Nikolai Aksjonenko als Nachfolger vor. Aber Aksjonenko passte aus einer ganzen Reihe von Gründen nicht. Einer von ihnen war, dass der Nachname eines russischen Präsidenten nicht auf »o« enden darf, denn dieser verräterische Buchstabe zeigt zumeist eine ukrainische Herkunft an. Daraufhin tauchte der erste Vize-Ministerpräsident und Innenminister der Russischen Föderation Sergei Stepaschin auf, der Jelzin den Großteil seiner Karriere innerhalb der Föderation zu verdanken hatte.
Aber Stepaschin, der im Mai 1999 Ministerpräsident und damit der Fast-Nachfolger geworden war, erlaubte sich grobe Verstöße gegen die Konventionen der Jelzin-Familie. Er stand in engem Kontakt zu Primakow, Luschkow und dem sie unterstützenden Medien-Magnaten, dem Inhaber des Fernsehsenders NTW Wladimir Gussinski. Damit gab er zu verstehen, dass er großzügige Ansichten vertrat und bereit war, sich mit allen zu einigen. Das gefiel dem Kreml und der Jelzin-Familie ganz und gar nicht.
Obwohl Stepaschins Umfragewerte im August 1999 20 Prozent überstiegen, was es durchaus ermöglichte, den damaligen Anführer des virtuellen Wahlrennens Primakow herauszufordern, ernannte Jelzin am 9. August 1999 Wladimir Putin – den unbekannten Tschekisten mit seinen betont bescheidenen Manieren und dem Hundeblick – zum neuen Ministerpräsidenten und rief ihn bereits offiziell zu seinem Nachfolger aus.
1998/99 hatte Wladimir Putin der Familie Jelzin mehrmals bewiesen:
a) seine einmalige Ehrenhaftigkeit (gemessen an seiner Umgebung und deren bestialischen Spielregeln);
b) seine Zuverlässigkeit, die fast an einen Verlust des Selbsterhaltungstriebs grenzt.
Als die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation 1998 unter Duldung von Jelzin beschlossen hatte, Sobtschak zu verhaften, organisierte Putin für ihn einen Privatjet und brachte ihn nach Paris, wo er bis zum Herbst 1999 in aller Ruhe abwartete, wann man ihn nach Russland zurückholen würde, um ein Vertrauter des Präsidentschaftskandidaten WWP zu werden.
Doch die höfische Geschichtsschreibung
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