Wladimir - die ganze Wahrheit über Putin
Reputation des Duos Primakow/Luschkow schädigen. (Später, als man Beresowski nicht mehr brauchte, wurde er wieder aus Russland vertrieben – diesmal für immer.)
Als Putins Umfragewerte Anfang Dezember 1999 die heiß ersehnten und unabdingbaren 52 Prozent erreichten, stand die Entscheidung fest: Jelzin geht am 31. Dezember vorzeitig in den Ruhestand, die Präsidentschaftswahlen finden entsprechend nicht im Juni 2000, sondern drei Monate früher im März statt. Warum wurde das getan? Erstens, um nichts »zu verschütten«: Unter dem Einfluss unvorhersehbarer Faktoren hätten die Umfrageergebnisse des Nachfolgers leicht fallen können, und der ewige Sjuganow musste unbedingt im ersten Wahlgang besiegt werden, damit an der Legitimität des Novizen Wladimir Putin in der großen Politik niemand zu zweifeln wagte – weder in Russland noch im internationalen Maßstab. Zweitens – und das ist meiner Meinung nach der Hauptgrund – sollte Jelzin, der immer auf den politischen Erfolg anderer neidisch gewesen war, keine Gelegenheit mehr bekommen, es sich anders zu überlegen und einen anderen Nachfolger auszugraben, der für die Familie weniger annehmbar gewesen wäre.
Putin wurde am 14. März 2000 Präsident, und er ist es bis zum heutigen Tag. Eine halbe Ewigkeit!
Kapitel 10: Die Philosophie von Putins Macht – Der Bewacher am Höhleneingang. Wladimir Putins Russophobie
Die russische politische Opposition und die ihr zugeneigten Intellektuellen, mit deren Augen das Establishment im Westen nicht selten auf die Ereignisse in Russland und dessen jüngste Geschichte schaut, haben sich den Begriff »blutiges Regime« angewöhnt. Doch Putin ist alles andere als ein blutrünstiger Tyrann. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele und Belege. Wenn das Projekt »Bürger Poet« 1 , in dem der Tyrann auf literarischem Niveau gescholten wird, im Barvikha Luxury Village oder im Theater Estrada gastiert, dessen Direktor Gennadi Chasanow ein rührendes Verhältnis zum ersten Mann im Staat hat – was hat das dann zu bedeuten?
Putin ist nicht nur kein Tyrann, sondern streng genommen nicht einmal eine Führungspersönlichkeit. Er ist ein Markenzeichen, ein Symbol für den glamourösen Autoritarismus, der sich in der Zeit nach Jelzin herausgebildet hat. Seine Funktion als Markenzeichen erfüllt er zufriedenstellend. Der eine sichert sich mit dessen Hilfe Milliardenkredite bei staatlichen Banken (von denen WWP selbst in der Regel nichts weiß, und wenn er davon erfährt, wundert er sich nicht einmal), ein anderer rechtfertigt damit seine frühreife Oppositionshaltung.
Putins Problem indes liegt nicht in einer eigenhändigen Lenkung des Staates, wie viele denken. Der Staat wird eher von einer so großen Anzahl leichtfertiger Hände gelenkt, dass sie keiner mehr beaufsichtigen kann. Putins Problem ist, dass jedes Markenzeichen nur dann erfolgreich sein kann, wenn es zeitgemäß ist, was man über das Markenzeichen »Putin« mittlerweile allerdings nicht mehr sagen kann. Und deswegen muss er weg.
Aber abgesehen von Putin als Markenzeichen gibt es noch Putin als Mensch. Man sollte seine Möglichkeiten nicht überschätzen, und es liegt natürlich nicht an ihm. Aber wenn wir ihn schon in die Mangel nehmen, müssen wir auch versuchen, diesen Menschen zu verstehen.
Die vierzehn Jahre, in denen WWP in der einen oder anderen Weise an der großen Macht teilhatte, sowie seine vielen Worte und wesentlichen Schritte erlauben es durchaus, einige Schlussfolgerungen zu ziehen.
Putin ist weder ein Diktator, noch ist er machthungrig. Er hat lediglich einen leichten Hang zur Misanthropie im Allgemeinen und einen schweren zur Russophobie im Besonderen. In seinen relativ jungen Jahren (in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre) hatte er ein schreckliches Erlebnis. Als er beruflich in der DDR war, traf er unerwartet auf reale Deutsche. Und das hat ihn umgeworfen. Ihm wurde auf einmal klar, dass es menschliche Wesen gibt, die fähig sind, auch ohne den vorgehaltenen Gewehrlauf zu arbeiten, die ein Ergebnis liefern können, ohne sieben Mal am Tag daran erinnert zu werden, und die sogar während der Arbeitszeit nüchtern sein können. Diese anthropologische Entdeckung stürzte Putin in tiefe Verlegenheit. Und anscheinend kam er zu dem Schluss, dass die Macht (nicht in Russland, sondern überhaupt) wie auch die Philosophie deutsch sein müssen – wenn möglich.
Allem Anschein nach denkt Putin ungefähr so. Die Russen sind natürlich gutmütig und nett,
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