Wladimir - die ganze Wahrheit über Putin
mitleidsfähig und kontemplativ, aber sie eignen sich nicht für eine kontinuierliche, zielgerichtete Tätigkeit und ein ausgewogenes, friedliches, schöpferisches Leben.
Der Russe ist eine Maschine, die Probleme generiert (und keine Lösungen dafür findet). Er fegt alles fort, was ihm im Weg steht, er ist ein unbezähmbarer Sämann der Entropie, eine Verkörperung des zweiten Grundsatzes der Thermodynamik. Er ist ein Teil der Kraft, die stets das Gute will, wobei letztlich doch alles beim Alten bleibt. Wie in diesem Witz: Kommt jemand ins Gefängnis und hat zwei Kugeln, die eine geht ihm kaputt, und die andere verliert er.
Einem solchen Menschen darf man kein freies Manövriergelände lassen. Man muss ihm deutlich einen schmalen Platz zuweisen, ihn vom Raum der Möglichkeiten isolieren und ihm von Zeit zu Zeit den Rotz mit einem Stofftaschentuch abwischen. Das nennt man Sozialpolitik, und man darf keinesfalls ein Seidentuch benutzen, sonst wird er überheblich. Von Zeit zu Zeit muss man ihn damit trösten, dass sich Russland wieder einmal von den Knien erhoben hat und es große Ehre und Glück bedeute, ein stummer Diener des Imperiums zu sein, was die fremdländischen Dummköpfe natürlich nicht verstehen können.
Putins Aufgabe besteht nicht darin, das russische Volk zu mobilisieren. Im Gegenteil. Er soll es weitgehend schwächen, damit es sich nicht erhebt. WWPs Rhetorik muss wirken wie sedierende Psychopharmaka. Denn er ist von einer Demarkationslinie umgeben, die den Namen des legendären Psychiaters Kaschtschenko trägt, mit dessen Namen man die bekannteste psychiatrische Klinik der UdSSR verbindet. Deswegen spielt auch der Inhalt seiner Rhetorik keine Rolle, über den man sich nicht den Kopf zerbrechen sollte (geschweige denn darüber reden, denn das Leben ist kurz, bis zum Weltuntergang bleibt wenig Zeit). WWP wäre der ideale Chefarzt einer sowjetischen Irrenanstalt gewesen, aber das Leben hat ihm einen anderen Weg gewiesen.
Ein einfaches Beispiel. Im Mai 2012, kurz nach seiner erneuten Wahl auf seinen Dauerposten, unterschrieb der Präsident der Russischen Föderation einen strategischen Supererlass »Über langfristige Ziele der staatlichen Wirtschaftspolitik«. Darin werden versprochen: die Schaffung und Modernisierung von 25 Millionen hochproduktiven Arbeitsplätzen zum Jahr 2020 sowie die Erhöhung des Investitionsvolumens auf nicht weniger als 25 Prozent des BIP zum Jahr 2015 und auf 27 Prozent zum Jahr 2018. Die Regierung (immer noch mit Dmitri Medwedew) stand vor der Aufgabe, bis zum Jahr 2018 die Arbeitsproduktivität um das Anderthalbfache im Vergleich zu 2011 zu steigern und den Anteil der Produktion von Hochtechnologie und forschungsintensiven Zweigen innerhalb des BIP bis 2018 um das 1,3fache.
Es versteht sich von selbst, dass Putin als durchaus vernünftiger Mensch nicht an die Erfüllbarkeit dieser Versprechungen glauben kann. Die Raumschiffe werden nach einem Ausspruch des bekannten sowjetisch-postsowjetischen Satirikers Michail Schwanezki nicht im Bolschoi-Theater landen. Damit meinte er, dass die beiden bekanntesten sowjetischen Markenzeichen – das Ballett und die Weltraumfahrt – der Putin’schen Wirtschaft zum Opfer gefallen sind.
Daher lautet die eigentliche Message dieses höchsten Erlasses: Liebe Bürger Russlands, geht in eure Sauna (fuck off!), hier habt ihr meinen Erlass, erfüllt ihn, falls ihr dazu in der Lage seid, meine törichten Untertanen.
Im Grunde haben die föderale Regierung Russlands unter der Leitung von Dmitri Medwedew und besonders das Finanzministerium unter Anton Siluanow bereits 2013 deutlich zu verstehen gegeben, dass die von unserem Helden im Wahlkampf 2012 umrissenen Perspektiven unrealistisch sind. Wie sagte in vielen ähnlichen Fällen der berüchtigte Boris Beresowski? »Wir hatten Geld und werden es haben, aber im Moment sind wir blank.« Ungeachtet des relativ hohen Preisniveaus für Erdöl schreitet die russische Legislative bereits zur Kürzung des föderalen Budgets für 2014 bis 2016, vorerst formal um 5 Prozent, was nach Meinung von Experten jedoch noch längst nicht das Ende der Fahnenstange ist.
Putin erbaut nichts und weist keinen Weg. Seine selbstgenügsame Überidee heißt Stabilität. Mit Russland ist (aus oben genannten Gründen) sowieso nichts anzufangen. Und wenn ich schon durch die Ironie des postsowjetischen Schicksals an der Macht bin, räsoniert WWP, ist das Einzige, was ich erreichen kann, dass nichts kaputtgeht. Das ist
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