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Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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bis ich im Observer von einer weiteren Umfrage las, die ergeben hatte, daß fast vierzig Prozent der Österreicher der Ansicht waren, die Juden seien zumindest teilweise selbst für das verantwortlich gwesen, was mit ihnen während des Krieges geschehen ist. Laut Observer glaubten achtundvierzig Prozent, die übriggebliebenen 8000 Juden des Landes, die gerade etwas über 0,001 Prozent der österreichischen Bevölkerung ausmachen, hätten nach wie vor zuviel wirtschaftliche Macht und zuviel politischen Einfluß.
    Die Deutschen haben wenigstens bewegende Versuche unternommen, sich zu ihrer Schuld zu bekennen – Willy Brandts Kniefall im Warschauer Ghetto und Richard von Weizsäcker, der die Welt am fünfzigsten Jahrestag des Kriegsbeginns für die Sünden seines Landes um Verzeihung bat. Was machen die Österreicher? Sie wählen einen ehemaligen Wehrmachtsoffizier zu ihrem Präsidenten.
    Das ging mir durch den Kopf, als ich vom Freud Museum den Rückweg zum Hotel antrat. Ich stand an einer Kreuzung an der Karl-Lueger-Straße, da bog eine schwarze Limousine um die Ecke, begleitet von einem einzelnen Motorrad der Polizei. Und ich schwöre bei Gott, auf dem Rücksitz dieser Limousine saß der berühmte Dr. Kurt Waldheim, jener eben erwähnte einstige Wehrmachtsoffizier und damalige Präsident Österreichs. Viele Leute fragen sich, worin der Unterschied zwischen dem Kanzler und dem Präsidenten Österreichs besteht. Es ist ganz einfach. Der Kanzler macht Politik und regiert das Land, während der Präsident die Juden zusammentreibt. Das ist natürlich nur ein Witz. Nichts liegt mir ferner, als andeuten zu wollen, Präsident Waldheim könnte irgendetwas mit dem brutalen Vorgehen gegen unschuldige Menschen zu tun gehabt haben – ganz gewiß nicht in diesen Tagen. Dr. Waldheims Erklärung, er habe beim Anblick der 40000 Juden, die in Saloniki in Viehwaggons verladen wurden, wirklich geglaubt, sie würden zur Erholung ans Meer geschickt, halte ich für absolut glaubwürdig.
    Fairerweise sollte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, daß Waldheim nachdrücklich betont, er habe zu keinem Zeitpunkt gewußt, daß die Juden von Saloniki nach Auschwitz transportiert worden sind. Und lassen Sie uns fair sein – es handelte sich ja lediglich um ein Drittel der gesamten Stadtbevölkerung. Und es ist ja auch nur zu verständlich, daß ein Offizier nicht über alles im Bilde sein kann.
    Österreich sollte stolz auf ihn sein und nicht zuletzt auch auf sich, weil es den Mut hat, entgegen der Meinung der Weltöffentlichkeit einen Mann seines Kalibers zu wählen. Es muß schon ein ganz besonderes Volk sein, das einem solchen Mann die Treue hält. Welch ein wunderbares Land.

    Sofia

    Ich flog nach Sofia. Seit Tagen hatte ich mich auf Bulgarien gefreut. Es war das mit Abstand interessanteste, wenn nicht das angenehmste der Länder, die Katz und ich besucht hatten.
    In meiner Erinnerung bestand Sofia aus breiten Boulevards, auf denen kaum ein Auto fuhr, so daß die Leute mitten auf den Straßen gingen, um nur gelegentlich einer schwarzen, mit Parteifunktionären besetzten Zill Limousine Platz zu machen. Noch nie hatte ich mit eigenen Augen eine so zeitlose Stadt gesehen. Es gab keinerlei Hinweise, in welchem Jahrzehnt man sich befand. Es hätte ebensogut 1970 wie 1930 sein können. Die Form der wenigen Autos, die Kleidung der Menschen, die Geschäfte und Häuser – alles war auf seltsame Weise von der Mode unberührt.
    In Sofia gab es ein großes, düsteres Kaufhaus, das TSUM. Auf seinen fünf Etagen schien es nicht ein Produkt zu verkaufen, das nach 1938 hergestellt worden war – klobige Bakelit-Radios, dicke schwarze Füllfederhalter, die wie Zigarren aussahen, und dampfbetriebene Waschmaschinen. Einmal gesellte ich mich in der Radio-und Fernsehabteilung zu einer Menschenmenge, die auf einem der Fernsehgeräte ein historisches Drama verfolgte. Es handelte sich um ein Schwarzweißgerät mit einem runden 4-Zoll-Bildschirm – und das war dort eine Attraktion.
    Ich habe damals fast einen ganzen Tag im TSUM verbracht und still vor mich hin gestaunt, nicht nur weil die Produkte so herrlich altmodisch waren, sondern weil ganze Familien durch das Kaufhaus wandelten, als besichtigten sie ein Museum für Wissenschaft und Technik. Nun hoffte ich, die Stadt möglichst unverändert vorzufinden.
    Kurz nach einundzwanzig Uhr landete ich auf dem Flughafen von Sofia. Die Wechselstube war geschlossen, und da man die bulgarische Währung nur

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