Wo bitte geht's nach Domodossola
riesigen Gebäude beschränkte sich die Ausstellungsfläche auf ganze acht kleine Räume, bestückt mit unbedeutenden Werken überwiegend unbekannter Künstler. Am Postkartenstand vor dem Gebäude gab es haufenweise Zeichnungen von Rubens und Dürer aus der Sammlung der Albertina. Drinnen hatte ich keines dieser Werke gesehen. Als ich eine Dürer-Postkarte zur Hand nahm und die Frau, die den Stand betrieb, fragte, wo sich denn das Original befände, wiederholte sie nur beharrlich und mit dieser für die Wiener so typischen Gereiztheit »Ja, ja, das ist eine postcard « und verweigerte jeden Versuch, meine Frage zu verstehen, so daß mir nichts anderes übrig blieb, als sie zu Boden zu schlagen und meiner Wege zu gehen.
Mit Ausnahme dieser Dame fand ich die Wiener allerdings nicht sonderlich grob oder unhöflich, was mich fast ein wenig enttäuschte, denn mehr als einmal hatte ich gehört, sie seien das unsympathischste Völkchen Europas. In seinem Buch The Double Eagle, eine treffende Beschreibung der Städte Wien, Budapest und Prag, schreibt Stephen Brook, daß ihm viele ausländische Einwohner Wiens berichtet hätten, sie seien auf offener Straße von Fremden zurechtgewiesen worden, weil sie bei Rot eine Kreuzung überquert hatten oder mit ihren Kinder spazierengegangen waren, ohne ihnen vorher die Mäntel zugeknöpft zu haben.
Über das berühmte Café Landtmann neben dem Burgtheater an der Ringstraße wußte Brook zu berichten, daß man dort »von Kellnern und Garderobieren wie der letzte Dreck behandelt wird«, was meinen Erfahrungen schon etwas näher kam. Sie legten tatsächlich diese aufgetragene Arroganz an den Tag, die einem bei europäischen Kellnern häufig begegnet. Alles in allem waren die Wiener Cafés denn auch die größte Enttäuschung für mich. Ich habe einen Lebensabschnitt erreicht, in dem ich nichts lieber tue, als den halben Tag vor einer Tasse Kaffee zu sitzen und Zeitung zu lesen. Daher schien diese Stadt mit ihren zahllosen Kaffeehäusern wie für mich gemacht. Doch ich hatte mir mehr davon versprochen. Ich hatte eine Art verrauchten Charme erwartet und jede Menge exzentrische Charaktere, aber im Grunde waren es ganz einfach Restaurants. Der Kaffee war nicht schlecht, wenn auch nicht überwältigend, und die Bedienung war im allgemeinen langsam und stets unfreundlich. Sie geben einem Zeitungen zu lesen – das ist der einzige Unterschied.
Sogar das Café Central, in dem sich Trotzki Tag für Tag die Zeit mit Nichtstun vertrieben hat, erwies sich als eine Enttäuschung. Es hatte eine gewisse Atmosphäre – gewölbte Decken, Marmortische, einen Pianisten –, aber der Kaffee kostete vierunddreißig Schilling pro Tasse, und der Service war höchstens mittelmäßig. Doch die Geschichte, die sich um das alte Kaffeehaus rankt, gefällt mir: Zwei Wiener sitzen im Central und reden über Politik. Der eine, gerade zurück aus Moskau, prophezeit, daß in Rußland eine Revolution bevorsteht. »Ach, ja?«
sagt der andere skeptisch und macht eine kurze Kopfbewegung in die Richtung des ewigen Müßigängers Trotzki. »Und wer soll die führen – er?«
In ganz Wien fand ich nur ein freundliches Café, das Hawalka. Es lag in der Nähe meines Hotels und war muffig, unordentlich und so dunkel, daß man sich den Weg zu seinem Tisch ertasten mußte. Über den ganzen Raum verteilt lagen Zeitungen herum. Ein alter Kellner, der eher wie ein Anstreicher gekleidet war, brachte mir eine Tasse Kaffee, ohne daß ich darum gebeten hatte. Als er merkte, daß ich Amerikaner bin, begann er, ein paar Exemplare der USA Today zusammenzusuchen, und legte sie mir auf den Tisch.
»Oh, nein, danke«, sagte ich. »Werfen Sie die ins Feuer, und bringen Sie mir eine Zeitung.« Aber er hörte wohl nicht besonders gut, denn nun trippelte er durch den Raum, sammelte weiter und kehrte mit einem ganzen Stapel an meinen Tisch zurück. »Nein, nein«, protestierte ich, »damit legt man Schubladen aus.« Doch er brachte mehr und mehr, bis sich die Zeitungen einen halben Meter hoch auf meinem Tisch türmten. Schließlich faltete er ein Exemplar auseinander und breitete es vor mir aus. Also trank ich meinen Kaffee und las eine halbe Stunde lang Artikel über Vanna White, Sylvester Stallone und andere große Denker unseres Jahrhunderts.
Wien ist zweifellos die prachtvollste Stadt, die ich je gesehen habe. Auf der gesamten Länge der Ringstraße künden monumentale Bauten von der Vergangenheit einer Kaiserstadt: das Parlament,
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