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Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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nun so weit nördlich, wie man auf der ganzen Welt mit einem öffentlichen Verkehrsmittel nur kommen kann. Hammerfest ist eine fast unvorstellbar entlegene Stadt – sie befindet sich 1600 Kilometer nördlich der Shetland Inseln, fast 1300 Kilometer nördlich der Färöer und selbst noch 240 Kilometer nördlicher als mein einsamer Professor an der nördlichsten Universität der Welt in Tromsø. Ich war dem Nordpol näher als London. Der Gedanke weckte mich aus meinem Dämmerschlaf und ließ mich die Nase gegen die kalte Fensterscheibe drücken. Wir näherten uns Hammerfest von Norden her, über eine sich windende Küstenstraße. Als die Stadt schließlich vor uns lag, bot sie einen wunderschönen Anblick – ein Märchenland aus goldenen Lichtern, die sich über eine weitläufige Bucht bis in die Berge hinein verteilten. Ich hatte mir unter Hammerfest immer ein Dorf vorgestellt – ein paar Häuser rund um einen kleinen Hafen, vielleicht eine Kirche, ein Gemischtwarenladen und, wenn ich Glück hatte, eine Kneipe –, aber es war eine kleine Stadt. Eine goldene, kleine Stadt. Und das Leben sah wieder freundlicher aus.

    Hammerfest

    Ich nahm ein Zimmer im Håja-Hotel unweit des Hafens. Das Zimmer war klein, aber gemütlich, hatte ein Telefon, einen kleinen Farbfernseher und ein Bad. Ich war hochzufrieden und konnte es kaum erwarten, mir die Stadt anzusehen. Ich lud mein Gepäck ab, warf einen prüfenden Blick auf die sanitären Anlagen und zog aus, um Hammerfest zu erkunden.
    Auf eine ich-muß-ja-zum-Glück-nicht-hier-leben Art und Weise schien es eine angenehme Stadt zu sein. Das Hotel befand sich in einem düsteren Viertel voller Reedereien und Lagerhäuser. Ich entdeckte auch ein paar Banken, eine sehr große Polizeistation und ein Postamt mit einer Reihe von Telefonzellen davor. Im Vorbeigehen fiel mir auf, daß die Telefonbücher in jeder einzelnen Zelle von einem vermutlich vor Langeweile Verzweifelten in Brand gesteckt worden waren und nun verkohlt an ihren Ketten hingen.
    Ich ging zur Hauptstraße, der Strandgatan, die etwa 300
    Meter am Hafen entlang verlief, auf der Landseite von verschiedenen Geschäften gesäumt – einer Bäckerei, einer Buchhandlung, einem Kino (geschlossen) und einem Café namens Kocken’s – an der Hafenseite vom Rathaus, einer Reihe von weiteren Geschäften und der ebenso finsteren wie massigen Birds-Eye-Findus-Fischfabrik. In regelmäßigen Abständen hatte man Weihnachtsschmuck über die Straße gehängt, aber die Geschäfte waren ausnahmslos geschlossen. Abgesehen von einigen gelegentlich vorbeirasenden Taxen entdeckte ich nirgends Anzeichen von Leben.
    Es war kalt, aber längst nicht so kalt, wie ich erwartet hatte. Und das war gut so, denn fast hätte ich mir in Oslo für 400 Kronen eine dieser lächerlichen Pelzmützen mit Ohrenschützern gekauft, wie man sie in Rußland trägt. Sosehr ich es auch hasse, in einer Menschenmenge aufzufallen, so überkommt mich doch gelegentlich dieser schreckliche innere Zwang, mich zum Gespött der Leute zu machen, und ich war nahe daran, mit dieser Russenmütze neue Maßstäbe zu setzen. Das hatte sich nun erübrigt.
    Außerhalb des Stadtzentrums folgte die Straße den Windungen der Bucht und führte auf eine schmale Landspitze. Nach ungefähr einem Kilometer bot sich ein herrlicher Blick auf die Stadt hinter mir, die umgeben von dunklen Bergen so geschützt dalag wie in einer riesigen Hand. Die Bucht wirkte schwarz und unergründlich; nur das Rauschen des Wassers ließ ahnen, daß dort Leben war. Doch die Stadt selbst war hell und strahlte vor Behaglichkeit, eine Oase aus Wärme und Licht in der endlosen arktischen Nacht.
    Von diesem ersten Streifzug zufriedengestellt, schlenderte ich zum Hotel zurück, wo ich ein leichtes, aber erstaunlich teures Abendessen zu mir nahm und anschließend dankbar zu Bett ging. In der Nacht wurde ich von einem Sturm geweckt. Ich kroch zum Fenster und sah hinaus. Schnee wirbelte durch die Straße. Der Wind heulte. Blitze erhellten den Himmel. Noch nie hatte ich bei einem Schneesturm Blitze gesehen.
    »Ach du liebe Güte, wo bin ich?« stammelte ich, krabbelte ins Bett zurück und vergrub mich unter der Decke. Ich weiß nicht, wie spät es war, aber ich döste und wälzte mich vielleicht eine Stunde lang in der Dunkelheit, bis mir einfiel, daß es überhaupt nicht hell werden würde. So stand ich auf und sah aus dem Fenster. Der Sturm wütete noch immer. Auf dem Parkplatz der Polizeistation waren zwei

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