Wo die Nacht beginnt
hatten Kreuzzüge geführt und im Hundertjährigen Krieg gegen Frankreich gekämpft. Und einer von ihnen hatte Philippe als Zeichen seiner königlichen Gunst diese Kette geschenkt. Anders war diese Pracht nicht zu erklären.
»Philippe, ich kann unmöglich …« Meine Proteste verstummten, als er die übrigen Schmuckstücke in Catrines Hände legte und die Kette über meinen Kopf zog. Die Frau, die mich aus dem verschwommenen Spiegel anblickte, war ebenso wenig eine moderne Historikerin, wie Matthew noch ein moderner Wissenschaftler war. Ich brachte nur noch ein »Oh« heraus.
»Atemberaubend«, stimmte er mir zu. Sein Gesicht wurde traurig. »Ich wünschte, Ysabeau wäre hier und könnte dich und Matthews Glück sehen.«
»Eines Tages werde ich ihr alles erzählen«, versprach ich ihm leise und hielt seinen nachdenklichen Blick fest, während Catrine die Pfeilspitze an der Kette befestigte und den Perlenstrang in mein Haar wand. »Und ich werde heute Abend gut auf den Schmuck aufpassen, damit du ihn morgen früh zurückbekommst.«
»Er gehört fortan dir, Diana, und du kannst damit verfahren, wie du willst. Genau wie mit dem hier.« Philippe zog einen weiteren Beutel von seinem Gürtel, diesmal einen aus festem Leder, und reichte ihn mir.
Er war schwer. Sehr schwer.
»In unserer Familie verwalten die Frauen ihr Vermögen selbst. Ysabeau besteht darauf. Alle Münzen in dieser Börse sind englisch oder französisch. Sie halten ihren Wert nicht ganz so gut wie venezianische Dukaten, aber sie werfen weniger Fragen auf, wenn du sie ausgibst. Wenn du mehr Geld brauchst, frag einfach Walter oder ein anderes Mitglied der Bruderschaft.«
Als ich in Frankreich angekommen war, war ich völlig von Matthew abhängig gewesen. In gut einer Woche hatte ich gelernt, mich anzupassen, Konversation zu betreiben, einen Haushalt zu führen und Weingeist zu destillieren. Ich verfügte jetzt über eigenes Geld, und Philippe de Clermont hatte mich öffentlich als seine Tochter anerkannt.
»Ich danke dir für alles«, sagte ich leise. »Ich dachte, du wolltest mich nicht als Schwiegertochter.«
»Anfangs vielleicht nicht. Aber selbst alte Männer können ihre Meinung ändern.« Philippe ließ ein Lächeln aufleuchten. »Und letzten Endes bekomme ich immer, was ich will.«
Die Frauen wickelten mich in meinen Umhang. Im allerletzten Moment senkten Catrine und Jeanne ein hauchdünnes Tuch über meinen Kopf und befestigten es mit den Opalmondsicheln, die auf der Rückseite winzige, kräftige Krallen trugen.
Thomas und Étienne, die sich inzwischen als meine Leibgarde betrachteten, liefen uns voran durch das Château und verkündeten lautstark unsere Ankunft. Bald bildeten wir eine richtige Prozession, die durch die Dämmerung in Richtung Kirche zog. Jemand musste im Glockenturm gewartet haben, und sobald dieser Jemand uns erspähte, begannen die Glocken zu läuten.
Als wir die Kirche erreichten, kam ich vor Staunen ins Stolpern. Vor dem Portal hatte sich das gesamte Dorf mit dem Priester in der Mitte versammelt. Ich hielt nach Matthew Ausschau und entdeckte ihn oben an der kurzen Treppe. Ich spürte seinen Blick durch den dünnen Schleier. Wie Sonne und Mond schwebten wir in diesem Augenblick außerhalb von Zeit, Raum und Gegensätzlichkeit. Allein unsere Position zueinander zählte.
Ich raffte die Röcke und eilte zu ihm. Der kurze Anstieg schien Ewigkeiten zu dauern. Spielte die Zeit allen Bräuten solche Streiche, fragte ich mich, oder nur den Hexen?
Der Priester strahlte mich von der Tür her an, machte aber keine Anstalten, uns in die Kirche zu lassen. Er hielt ein Buch in Händen, schlug es aber nicht auf. Ich stutzte irritiert.
»Alles in Ordnung, mon cœur? «, murmelte Matthew.
»Gehen wir nicht hinein?«
»Ehen werden vor der Kirchentür geschlossen, damit es später nicht zu blutigen Meinungsverschiedenheiten kommen kann, ob die Zeremonie tatsächlich wie berichtet stattgefunden hat. Wir können Gott danken, dass wir nicht im Schneesturm heiraten müssen.«
»Commencez!«, befahl der Priester und nickte Matthew zu.
Während der gesamten Zeremonie hatte ich nicht mehr zu tun, als zwölf Worte zu murmeln. Matthew musste sich fünfzehn merken. Philippe hatte den Priester davon in Kenntnis gesetzt, dass wir unser Ehegelübde auf Englisch wiederholen würden, weil es wichtig war, dass die Braut genau verstand, was sie versprach. Damit belief sich die Zahl der für die Eheschließung notwendigen Worte auf
Weitere Kostenlose Bücher