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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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Älteren ihre Schmerzen und Wehwehchen aufzählten.
    »Sieh ihn dir an«, staunte Matthew und nahm meine Hand. »Wie schafft es Philippe nur, dass sich jeder fühlt, als wäre er der wichtigste Gast im Raum?«
    »Erzähl du es mir«, antwortete ich lachend. Als Matthew mich fragend ansah, schüttelte ich den Kopf. »Matthew, du bist genau wie er. Du brauchst nur einen Raum zu betreten, und schon konzentrieren sich alle Anwesenden auf dich.«
    »Wenn du einen Helden wie Philippe zum Mann willst, wirst du von mir enttäuscht sein«, sagte er.
    Ich nahm sein Gesicht in meine Hände. »Ich wünschte, ich könnte dir zur Hochzeit einen Zauberspruch schenken, durch den du dich so siehst, wie dich andere sehen.«
    »Dem Spiegelbild in deinen Augen nach zu urteilen sehe ich nicht anders aus als sonst. Ein bisschen nervös vielleicht, nach dem, was Guillaume eben über den fleischlichen Appetit älterer Frauen erzählt hat«, versuchte Matthew mich mit einem Scherz abzulenken. Aber ich ließ mich nicht beirren.
    »Wenn du in meinen Augen keinen Anführer entdeckst, dann siehst du nicht richtig hin.« Unsere Gesichter waren sich so nahe, dass ich seinen würzigen Atem riechen konnte. Ohne nachzudenken, zog ich ihn zu mir her. Philippe hatte Matthew zu erklären versucht, dass er es verdiente, geliebt zu werden. Vielleicht war ein Kuss noch überzeugender.
    In der Ferne hörte ich Rufen und Klatschen. Dann wurde gejohlt.
    »Lass dem Mädel etwas, auf das es sich morgen freuen kann, Matthaios , wer weiß, ob sie sonst überhaupt noch in die Kirche kommt!«, rief Philippe aus und brachte damit die Menge zum Lachen. Matthew und ich lösten uns peinlich betreten voneinander. Ich suchte den Saal ab und sah Matthews Vater am Kamin stehen, wo er ein siebensaitiges Instrument stimmte. Matthew erklärte mir, dass es eine Kithara war. Erwartungsvolle Stille senkte sich über den Raum.
    »Als ich noch ein Kind war, wurden am Ende eines Banketts wie diesem immer Geschichten und Erzählungen vorgetragen, die von Helden und großen Kriegern handelten.« Philippe zupfte an den Saiten und erzeugte damit einen Regenschauer an Tönen. »Und genau wie alle Männer verlieben sich auch Helden.« Er schlug wieder die Laute und ließ seine Zuhörer in den Rhythmus seiner Erzählung fallen.
    »Ein Held namens Peleus, mit dunklem Haar und grünen Augen, zog aus, um sein Glück zu suchen. Sein Heim war ein Dorf wie Saint-Lucien, versteckt in den Bergen, doch Peleus hatte immer vom Meer geträumt und von den Abenteuern, die er in fernen Landen erleben würde. Er versammelte seine Freunde um sich, und gemeinsam bereisten sie die Meere der Welt. Eines Tages gelangten sie an eine Insel, die berühmt war für ihre schönen Frauen und für die mächtige Magie, über welche diese geboten.« Matthew und ich tauschten einen vielsagenden Blick. Dann begann Philippe mit tiefer Stimme zu singen.
    Weit glücklicher waren die Zeiten dereinst,
    Nach denen wir heute uns sehnen! Ihr Helden, gezeugt
    Von Göttern in jener silbernen Zeit, beschirmt mich,
    Wenn ich Euch mit meinem Gesange beschwöre.
    Wie hypnotisiert lauschte der ganze Saal Philippes unwirklichem Bass.
    »Dort sah Peleus Thetis, die Tochter des Meeresgottes Nereus, der niemals log und die Zukunft kannte. Von ihrem Vater hatte Thetis die Kunst der Weissagung geerbt und die Gabe, ihre Gestalt von fließendem Wasser zu tanzendem Feuer und zu säuselnder Luft zu wandeln. Thetis war wunderschön, doch kein Mann wollte sie zum Weibe nehmen, denn ein Orakel hatte verkündet, dass ihr Sohn dereinst noch mächtiger sein werde als sein Vater.
    Peleus liebte Thetis trotz dieser Prophezeiung. Aber wer eine solche Frau zum Weib nehmen wollte, musste beherzt genug sein, Thetis zu halten, wenn sie sich von einem Element ins nächste verwandelte. Peleus segelte mit Thetis von der Insel und presste sie an sein Herz, während sie sich von Wasser zu Feuer und weiter in eine Schlange und eine Löwin verwandelte. Als Thetis wieder zur Frau wurde, brachte er sie in sein Heim, und die beiden wurden Mann und Frau.«
    »Und das Kind? Vernichtete Thetis’ Sohn Peleus, so wie es das Omen vorhergesagt hatte?«, flüsterte eine Frau, als Philippe verstummt und nur noch das leise Klimpern der Kithara zu hören war.
    »Der Sohn von Peleus und Thetis wurde ein großer Held, ein wahrer Krieger, im Leben gesegnet wie im Tode. Er hieß Achill.« Philippe lächelte die Frau an. »Aber dessen Geschichte soll ein andermal erzählt

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