Wo die Nacht beginnt
erzielen«, sagte Mary und lenkte mich damit von dem Bild ab. Sie zog eine Schreibfeder aus ihrem hochfrisierten Haar und hinterließ dabei einen Tintenfleck hinter ihrem Ohr. »Was würde Eurer Meinung nach wohl passieren, wenn wir das Silber zerspanen, bevor wir es in aqua fortis auflösen?«
Es folgte ein angenehmer Nachmittag, den wir damit zubrachten, neue Herstellungsweisen für den Arbor Dianae zu ersinnen, und der viel zu schnell verflog.
»Werde ich Euch am Donnerstag wiedersehen?«, fragte Mary.
»Da bin ich leider anderweitig verpflichtet«, antwortete ich. Vor Sonnenuntergang wurde ich in Goody Alsops Haus erwartet.
Mary war die Enttäuschung anzusehen. »Dann am Freitag?«
»Freitag«, stimmte ich zu.
»Diana«, fragte Mary unsicher, »geht es Euch gut?«
»Aber ja«, antwortete ich überrascht. »Sehe ich denn krank aus?«
»Ihr wirkt blass und müde«, gab sie zu. »Wie die meisten Mütter erkenne ich es sofort, wenn – oh.« Mary verstummte abrupt und lief knallrosa an. Ihr Blick senkte sich auf meinen Bauch, dann sah sie mich wieder an. »Ihr bekommt ein Kind.«
»Ich werde Euch in den kommenden Wochen viele Fragen stellen«, sagte ich, nahm ihre Hand und drückte sie.
»Wie weit seid Ihr?«, fragte sie.
»Noch nicht so weit.« Ich blieb absichtlich vage.
»Aber das Kind kann unmöglich von Matthew sein. Ein Wearh kann kein Kind zeugen.« Verwundert hob Mary die Hand an die Wange. »Matthew will das Kind als seines annehmen, obwohl es nicht von ihm stammt?«
Matthew hatte mich zwar gewarnt, dass alle Welt annehmen würde, das Kind wäre von einem anderen Mann, doch wir hatten nicht besprochen, wie ich darauf reagieren sollte. Ich würde bluffen müssen.
»Er sieht es als sein eigen Fleisch und Blut an«, erklärte ich fest. Meine Antwort schien sie nur noch mehr zu bekümmern.
»Ihr könnt Euch glücklich schätzen, dass Matthew so selbstlos ist. Und Ihr – könnt Ihr das Kind denn lieben, obwohl es wider Euren Willen entstand?«
Mary nahm an, dass ich vergewaltigt worden war – und schloss wohl daraus, dass Matthew mich nur geheiratet hatte, um mich vor dem Stigma einer unverheirateten Mutter zu bewahren.
»Das Kind ist unschuldig. Ich kann ihm die Liebe unmöglich verweigern.« Ich achtete darauf, dass ich Marys Verdacht weder widerlegte noch bestätigte. Zum Glück gab sie sich mit meiner Antwort zufrieden und bohrte nicht weiter nach. »Wie Ihr Euch vorstellen könnt«, ergänzte ich, »möchten wir diese Neuigkeit um jeden Preis so lange wie möglich für uns behalten.«
»Natürlich«, pflichtete Mary mir bei. »Ich werde von Joan einen Brei anrühren lassen, der das Blut kräftigt und gleichzeitig den Magen beruhigt, wenn man ihn vor dem Schlafengehen isst. Er hat mir bei meiner letzten Schwangerschaft gute Dienste geleistet und schien auch gegen die morgendliche Übelkeit zu helfen.«
»Diese Beschwerden blieben mir Gott sei Dank bislang erspart«, sagte ich und zerrte die Handschuhe über meine Finger. »Matthew hat mich gewarnt, dass sie jetzt jeden Tag einsetzen könnten.«
»Hmm«, sinnierte Mary, und ein Schatten zog über ihr Gesicht. Ich sah sie stirnrunzelnd an und rätselte, was ihr jetzt Sorgen machte. Sie bemerkte meine Miene und lächelte strahlend. »Ihr solltet darauf achten, dass Ihr Euch nicht überanstrengt. Wenn Ihr am Freitag wiederkommt, dürft Ihr nicht mehr so lange stehen, sondern müsst Euch während der Arbeit auf einem Hocker ausruhen.« Mary zupfte meinen Umhang zurecht. »Achtet darauf, dass Ihr keinen Zug bekommt. Und lasst von Françoise eine Salbe für Eure Beine mischen, wenn sie anzuschwellen beginnen. Ich schicke Euch ein Rezept dafür, zusammen mit dem Brei. Soll ich Euch von meinem Bootsmann zur Water Lane fahren lassen?«
»Das sind nur fünf Minuten zu Fuß!«, protestierte ich lachend. Schließlich ließ Mary mich gehen, aber nicht bevor ich ihr versichert hatte, dass ich nicht nur Zugluft, sondern auch kaltes Wasser und plötzlichen Lärm meiden würde.
In der Nacht träumte ich, ich schliefe unter der Krone eines Baumes, der aus meinem Bauch wuchs. Die Äste schirmten mich vom Mondlicht ab, während hoch oben ein Drache durch die Nacht flog. Als er den Mond erreichte, schlang er den Schwanz darum, und die silberne Scheibe färbte sich rot.
Ich erwachte in einem leeren Bett und auf einem blutdurchtränkten Laken.
»Françoise!«, schrie ich und rollte mich in einem plötzlichen scharfen Krampf zusammen.
Stattdessen kam
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