Wo die Nacht beginnt
genährt und von der Substanz gezehrt.
Mir blieb ein silberner Mond auf der Brust, wo er immer trank. Er war nicht wie die anderen Narben auf meinem Körper, ihm fehlte das feste, schützende Gewebe, das sich normalerweise über einer Wunde bildet. Matthew erklärte mir, das liege an einer Substanz in seinem Speichel, die den Biss zwar versiegele, ihn aber nicht völlig abheilen lasse.
Matthews Ritual, mein Blut direkt über meinem Herzen zu trinken, und mein Ritual des Hexenkusses, durch das ich Zugang zu seinen Gedanken bekam, schufen eine neue Art von Vertrautheit. Wir liebten uns nicht jedes Mal, wenn er sich zu mir ins Bett legte, aber wenn wir uns liebten, dann jedes Mal nach – und gefolgt von – jenen zwei innigen Augenblicken absoluter Ehrlichkeit, die nicht nur Matthews größte Ängste, sondern auch meine verschwinden ließen: dass unsere Geheimnisse uns irgendwie ins Verderben führen könnten. Und wenn wir uns nicht liebten, dann unterhielten wir uns offen und entspannt, so wie es Liebende gern tun.
Gallowglass und Pierre suchten Tag und Nacht nach Benjamin, und Matthew plante die Erkundungsgänge. Aber Benjamin war nicht aufzuspüren. Als hätte er sich in Luft aufgelöst.
Ostern ging vorüber, und unsere Pläne für Rudolfs Frühlingsfest am darauffolgenden Samstag traten ins entscheidende Stadium. Meister Hoefnagel und ich verwandelten den Großen Saal der Burg in einen blühenden Garten voller eingetopfter Tulpen. Der Saal mit den elegant geschwungenen Streben, die das Gewölbedach trugen wie die Äste eines Weidenbaumes, brachte mich jedes Mal zum Staunen.
»Die kaiserlichen Orangenbäume werden wir ebenfalls herbringen«, verkündete Hoefnagel mit leuchtenden Augen. »Und die Pfauen auch.«
Am Tag der Aufführung bestreuten Bedienstete den Boden mit frischen Binsen und schleppten jeden entbehrlichen Kandelaber aus dem Palast und dem Dom in das hallende Steingewölbe, um die Illusion einer klaren Sternennacht zu schaffen. Als Bühne diente das untere Ende der zur kaiserlichen Kapelle führenden Treppe. Wie Meister Hoefnagel ausführte, konnte ich auf diese Weise wie der Mond oben an der Treppe erscheinen, während Matthew mit einem Astrolabium aus der Werkstatt Meister Habermels meinen Weg vermessen konnte.
»Glaubt Ihr nicht, dass das zu philosophisch sein könnte?«, fragte ich mich laut und zupfte dabei nervös an meiner Lippe.
»Wir sind hier am Hof von Rudolf II.«, erwiderte Hoefnagel trocken. »Hier kann nichts zu philosophisch sein.«
Als sich der Hof zum Bankett versammelte, staunten alle mit offenem Mund über unser Bühnenbild.
»Es gefällt ihnen«, flüsterte ich Matthew hinter dem Vorhang zu, der uns von der Menge trennte. Bis zu unserem großen Auftritt, der fürs Dessert vorgesehen war, mussten wir auf der Rittertreppe abseits des Saales ausharren. Matthew vertrieb mir die Zeit mit Geschichten aus jenen ruhmreichen Tagen, als er die breiten Stufen mit dem Pferd hinaufgeritten war, um sich in dem Saal hoch zu Ross Zweikämpfe zu liefern. Als ich laut bezweifelte, dass sich der Raum für solche Turniere eignete, sah er mich mit hochgezogener Braue an.
»Was glaubst du, warum wir den Saal so groß und die Decke so hoch gebaut haben? In Prag kann der Winter verdammt lang werden, und bewaffnete junge Männer werden zur Gefahr, falls ihnen langweilig wird. Es ist weitaus besser, wenn sie im gestreckten Galopp aufeinander zugaloppieren, als wenn sie Kriege mit den Nachbarländern vom Zaun brechen.«
Der reichlich fließende Wein und die freigiebig verteilten Speisen ließen den Lärm im Saal bald auf ohrenbetäubende Maße anschwellen. Als das Dessert aufgetragen wurde, gingen Matthew und ich auf unsere Positionen. Meister Hoefnagel hatte für Matthew eine liebliche Landschaft gemalt und ihm widerstrebend einen Orangenbaum überlassen, unter dem er auf einem mit Filz überzogenen Hocker, der einen Stein darstellen sollte, sitzen würde. Dann sollte ich aus der Kapelle treten und mich hinter eine ausgediente Holztür stellen, die wie ein Streitwagen bemalt war.
»Bring mich bloß nicht zum Lachen«, warnte ich Matthew, als er mir mit einem Kuss auf die Wange Glück wünschte.
»Ich liebe Herausforderungen«, flüsterte er mir zu.
Dann erscholl Musik, und die Höflinge kamen allmählich zur Ruhe. Sobald es still im Saal war, hob Matthew sein Astrolabium dem Himmel entgegen, und das Maskenspiel begann.
Ich hatte beschlossen, dass wir bei der Aufführung möglichst wenig reden
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