Wo die Nacht beginnt
finster.
Marlowe tat die Ermahnung mit einem Achselzucken ab. »Spielt ja auch keine Rolle. Wenn Ihr müsst, dann tut Euch an ihr gütlich, bis die anderen kommen. George ist natürlich schon länger hier, verschlingt Euer Essen und Eure Bücher. Er ist immer noch auf der Suche nach einem Förderer und nach wie vor ohne einen roten Heller.«
»Selbstverständlich darf sich George an allem, was mir gehört, gütlich tun.« Mit ernster Miene und ohne den jungen Mann aus den Augen zu lassen, hob Matthew unsere verschränkten Finger an seine Lippen. »Diana, dies ist mein teurer Freund Christopher Marlowe.«
Matthews Bemerkung gab Marlowe Gelegenheit, mich offen zu taxieren. Sein Blick kroch von meinen Zehenspitzen aufwärts bis zum Scheitel. Die Verachtung war ihm deutlich anzusehen, seine Eifersucht dagegen verstand er zu verbergen. Marlowe war tatsächlich in meinen Gemahl verliebt. Der Verdacht war mir schon in Madison gekommen, als ich mit den Fingern über die Widmung in Matthews Ausgabe des Doktor Faustus gefahren war.
»Ich wusste gar nicht, dass es in Woodstock ein Bordell gibt, das sich auf Riesinnen spezialisiert hat. Sonst sind Eure Huren deutlich feingliedriger und attraktiver, Matthew. Die hier ist eindeutig eine Amazone.« Kit drehte sich schniefend zu den Papieren um, die sich auf dem Tisch häuften. »Der alte Fuchs hat berichtet, Euch hätte Geschäftliches und nicht die Lust gen Norden geführt. Wie habt Ihr die Zeit gefunden, Euch ihre Dienste zu sichern?«
»Es ist schon bemerkenswert, Kit, wie schnell Ihr jede Zuneigung zu ersticken versteht«, antwortete Matthew gedehnt, aber mit warnendem Unterton. Marlowe gab vor, sich ganz auf die Schriftstücke zu konzentrieren, schmunzelte in sich hinein und tat so, als wäre nichts gewesen. Matthews Finger schlossen sich fester um meine.
»Heißt sie wirklich Diana, oder hat sie diesen Namen angenommen, damit ihre Kunden sie reizvoller finden? Vielleicht sollte sie ihre rechte Brust entblößen oder sich mit Pfeil und Bogen ausstaffieren«, schlug Marlowe vor, während er nach einem Blatt griff. »Wisst Ihr noch, wie Bess aus Blackfriars von uns verlangte, sie Aphrodite zu nennen, bevor sie sich uns …«
»Diana ist meine Gemahlin.« Matthew hatte mich stehen lassen, und seine Hand umklammerte nicht mehr meine Finger, sondern Marlowes Kragen.
»Nein.« Kit war anzusehen, wie entsetzt er war.
»Doch. Das heißt, dass sie die Herrin dieses Hauses ist, meinen Namen trägt und unter meinem persönlichen Schutz steht. In Anbetracht all dessen – und unserer langjährigen Freundschaft natürlich – wird fortan kein unziemliches Wort und kein Zweifel an ihrer Tugend mehr über Eure Lippen kommen.«
Ich bewegte die schmerzenden Finger. Matthew hatte so wütend zugedrückt, dass sich der Ring an meiner linken Hand ins Fleisch gepresst und einen hellroten Abdruck hinterlassen hatte. Obwohl der Diamant in der Fassung facettenlos geschliffen war, fing er die Wärme des Kaminfeuers ein. Den Ring hatte ich ganz unerwartet von Matthews Mutter Ysabeau geschenkt bekommen. Vor wenigen Stunden – vor einigen hundert Jahren? – in einigen hundert Jahren? – hatte Matthew ein uraltes Ehegelöbnis gesprochen und den Diamantring auf meinen Ringfinger geschoben.
Wir hörten Geschirr klappern, und im selben Moment betraten zwei Vampire den Raum. Der eine war ein schlanker Mann mit ausdrucksvollem, wettergegerbtem Gesicht, schwarzem Haar und schwarzen Augen. In seinen haselnussbraunen Händen hielt er eine Weinkaraffe und ein Weinglas mit einem Delfin als Stiel, auf dessen Schwanzflosse der Kelch aufsaß. Begleitet wurde der Mann von einer grobknochigen Frau, die eine Platte mit Brot und Käse trug.
»Ihr seid zu Hause, Milord.« Der Mann war offenkundig überrascht. Merkwürdigerweise konnte ich ihn wegen seines französischen Akzents besser verstehen als Marlowe. »Der Bote sagte am Donnerstag noch …«
»Meine Pläne haben sich geändert, Pierre.« Matthew wandte sich an die Frau. »Meine Gemahlin verlor auf der Reise ihr ganzes Hab und Gut, Françoise, und die Kleider, die sie trug, waren so verschmutzt, dass ich sie verbrennen musste.« Er log dreist und ohne jeden Skrupel. Weder die Vampire noch Kit sahen aus, als würden sie ihm ein Wort glauben.
»Eure Gemahlin?« Françoises französischer Akzent war genauso ausgeprägt wie der von Pierre. »Aber sie ist eine …«
»Warmblüterin«, fiel ihr Matthew ins Wort und nahm Pierre den Weinkelch ab. »Sagt
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