Wo die Nacht beginnt
Frühstücksgetränk.
Matthew sah sich müde im Raum um. »Es war keine gute Idee, hierherzukommen.«
»Wo sollen wir stattdessen hin? Es schneit. In Woodstock wartet das ganze Dorf nur darauf, mich vor einen Richter zu schleifen und als Hexe anzuklagen. In Sept-Tours müssen wir zwar in getrennten Zimmern schlafen und deinen Vater ertragen, aber vielleicht findet er ja tatsächlich eine Hexe, die mir helfen kann.« Bislang hatten uns Matthews überstürzte Entscheidungen nicht geholfen.
»Philippe muss sich immer in alles einmischen. Und was die Hexensuche angeht – er hat nicht mehr für dein Volk übrig als Maman. « Matthew blickte angestrengt auf die verschrammte Tischplatte und zupfte an einem Fleck Kerzenwachs herum, der in eine der Spalten geflossen war. »Vielleicht sollten wir in mein Haus in Mailand weiterreisen. Wir könnten dort über Weihnachten bleiben. Italienische Hexen sollen sehr gute Magierinnen sein und sind für ihre präzisen Prophezeiungen berüchtigt.«
»Auf keinen Fall nach Mailand.« Philippe erschien mit der Kraft eines Wirbelsturms vor uns und rutschte neben mir auf die Bank. Matthew dämpfte aus Rücksicht gegenüber meinen empfindlichen Warmblüternerven seine Kräfte und sein Tempo. Miriam, Marcus, Marthe und sogar Ysabeau bemühten sich ebenfalls darum. Sein Vater war da weniger einfühlsam.
»Ich habe mein Soll an Sohnesgehorsam erfüllt, Philippe«, fertigte Matthew ihn kurz ab. »Wieso sollten wir länger verweilen, in Mailand sind wir sicher. Diana beherrscht die toskanische Zunge.«
Falls er damit meinte, dass ich italienisch sprach, so war ich gerade mal in der Lage, Tagliatelle oder in einer Bibliothek Bücher zu bestellen. Irgendwie bezweifelte ich, dass das ausreichen würde.
»Wie praktisch für sie. Dann ist es schade, dass ihr nicht nach Florenz reisen wollt. Allerdings wirst du nach deinen letzten Eskapaden dort für längere Zeit nicht willkommen sein«, bemerkte Philippe milde. » Parlez-vous français, madame?«
»Oui«, antwortete ich argwöhnisch, weil ich schon ahnte, dass diese Unterhaltung sich polyglotter entwickeln würde, als mir lieb sein konnte.
»Hmm.« Philippe legte die Stirn in Falten. »Dicunt mihi vos es philologus.«
»Sie ist wirklich eine Gelehrte«, warf Matthew gehässig ein. »Wenn ich dir ihre Abschlüsse aufzählen soll, kann ich das gern machen, unter vier Augen, nach dem Frühstück.«
» Loquerisne latine?«, fragte mich Philippe, als hätte sein Sohn nichts gesagt. » Milás elliniká?«
»Mea lingua latina est mala«, erwiderte ich und stellte meinen Wein ab. Philippe riss die Augen auf, als er mein mickriges Schulmädchenlatein hörte, und sein Blick versetzte mich direkt in die grauenvolle Zeit meines Lateinunterrichts zurück. Natürlich konnte ich alchemistische Texte lesen, wenn sie ausschließlich auf Latein vorlagen. Aber auf ein lateinisches Streitgespräch war ich nicht vorbereitet. Ich marschierte tapfer weiter, in der Hoffnung, dass er mich tatsächlich gefragt hatte, wie gut mein Griechisch war. »Tamen mea lingua graeca est peior.«
»Dann werden wir uns auch nicht in dieser Sprache unterhalten«, murmelte Philippe gepeinigt. Er wandte sich indigniert Matthew zu. » Den tha ekpaidéfsoun gynaikes sto méllon?«
»In Dianas Zeit erhalten die Frauen eine deutlich bessere Schulbildung, als du für richtig halten würdest, Vater«, entgegnete Matthew. »Sie lernen nur kein Griechisch.«
»Wird Aristoteles in dieser Zukunft nicht mehr gebraucht? Eine seltsame Welt muss das sein. Ich bin froh, dass ich noch viele Jahre nicht darin leben muss.« Philippe schnupperte misstrauisch an meinem Weinkrug und stellte ihn dann wieder ab. »Diana wird fließend Französisch und Latein sprechen müssen. Nur wenige unserer Dienstboten sprechen Englisch, und hier unten tut es kein einziger.« Er warf einen schweren Schlüsselring auf den Tisch. Ich griff automatisch danach.
»Auf keinen Fall«, sagte Matthew und beugte sich vor, um sie mir wegzunehmen. »Diana wird nicht lange genug hier sein, um sich mit dem Haushalt abzugeben.«
»Sie ist die ranghöchste Frau in Sept-Tours, und damit ist das ihre Pflicht. Ihr solltet, glaube ich, mit dem Koch beginnen«, sagte Philippe und deutete auf den größten Schlüssel. »Der hier öffnet die Vorratskammern. Die anderen sind für das Backhaus, das Brauhaus, alle Schlafkammern außer meiner und die Keller.«
»Und welcher Schlüssel öffnet die Bibliothek?«, fragte ich und strich
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