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Wo die toten Kinder leben (German Edition)

Wo die toten Kinder leben (German Edition)

Titel: Wo die toten Kinder leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roxann Hill
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helfen können. Niemand konnte das.
Nach außen hin war ich pflegeleicht. Meine Oma musste zufrieden mit mir sein. Und obwohl ich keine Erinnerung an früher hatte, schadete mir das schulisch seltsamerweise nicht.
Schuld daran– wenn man es denn Schuld nennen wollte - waren meine Flüsterbilder . Sie ließen Testfragen vorab in meinen Kopf schlendern, ganz selbstverständlich, ohne weiteres Zutun, ohne weitere Anstrengung meinerseits. Ich wusste immer, auf was ich mich vorbereiten musste.
Aber jede Medaille hat eine Kehrseite und im Leben bekommt man nichts geschenkt.
Ich hielt mit dem Tuschen inne, als in mir die Erinnerung an andere Botschaften meines Unterbewusstseins aufstieg, denn diese Bilder hatten ihre eigene Qualität - verstörend, manchmal geradezu beängstigend und dabei sonderbar vertraut.
Niemand kannte mein Geheimnis.
Jetzt war ich in der zwölften Klasse und stand kurz vor meinem Abitur. Prüfungsstress pur. Allerdings konnte ich im Prinzip nur noch durchfallen, wenn ich auf alle Arbeiten einen großen Mittelfinger malen würde. Vermutlich würde mir der Direktor selbst dann mildernde Umstände gewähren.
Eine Amnesie hat auch ihre positiven Seiten.
Ich verschraubte die Mascarabürste mit ihrem Behälter und legte sie beiseite. Unverwandt sah ich in meine Augen, studierte ihr Grün, verfolgte die Linien meines Gesichtes, als gehörte das alles nicht mir, als gehörte es einer Fremden. Und irgendwie traf das auch zu.
Ich zog mein T-Shirt von Ed Hardy an, schlüpfte in meine Lieblingsjeans und sprang durchs halbe Zimmer, bis sie oben angekommen war. Nach einem längeren Kampf mit dem Reißverschluss, dem schließlich nichts anderes übrig blieb, als mir zu gehorchen, war meine Hose zu. Jetzt konnte ich auch wieder atmen.
Ein letztes Mal musterte ich mich im Spiegel. Mir blickte eine junge Frau entgegen. Ihrer Figur nach zu urteilen, schien sie viel zu trainieren, hatte aber Rundungen an den Stellen, an denen Rundungen sein sollten.
Ich drehte meinen Hintern zum Spiegel und haute mit der flachen Hand darauf.
Echt knackig - dachte ich zufrieden.
Ich rannte die Treppe hinunter und da stand sie, ganz unbeteiligt und schaute hinaus in unseren Garten.
Ich mochte unseren Garten. Er war groß und verwildert. Alles, was wachsen wollte, wuchs dort - ganz nach dem Gesetz des Stärkeren. Ich liebte vor allem die Brennnesseln, weil sie im Sommer Horden bunter Schmetterlinge anzogen.
Und Schmetterlinge…, Schmetterlinge waren etwas ganz Besonderes. Ihre Metamorphose von der Raupe über die Puppe bis hin zum Falter faszinierte mich. Ich hatte das Gefühl, mit ihnen auf seltsame Art verbunden zu sein, denn sie lebten nicht nur ein Leben, sondern fingen von vorne an.
Genau wie ich.
Nach dem schweren Unfall.
Vor vier Jahren.
„Lilith“, sagte meine Oma und blickte weiter nach draußen.
„Gerti!“, begrüßte ich sie und bemühte mich, meine Enttäuschung zu verbergen, weil sie mir nicht gleich zum Geburtstag gratulierte. Ich hatte ja nicht viel erwartet, aber eine Blaskapelle zum Beispiel, die happy birthday spielte, wäre meinen Vorstellungen schon entgegen gekommen.
Schließlich wird man nicht jeden Tag volljährig.
Doch als ich näher auf sie zuging, merkte ich, dass sie weinte. Sie drehte sich herum, packte mich und drückte mich an sich. „Jetzt ist mein kleines Mädchen plötzlich groß“. In ihrer Stimme schwang sentimentale Wehmut.
Noch bevor ich eine passende Antwort finden konnte, ließ sie mich los und hielt mir eine wunderbar duftende Tasse Kaffee entgegen. Erleichtert nahm ich ihr den Becher mit beiden Händen ab und senkte den Kopf, in der Absicht zu trinken.
„Willst du wirklich zum Training?“, fragte sie. „Du könntest es auch einmal ausfallen lassen. Ich meine, weil du doch Geburtstag hast…“
Ich stutzte. Obwohl sie sich bemühte, beiläufig zu klingen, hörte ich deutlich heraus, wie wichtig es für sie zu sein schien, dass ich gerade heute zuhause blieb. So kannte ich sie nicht. Ganz im Gegenteil - für gewöhnlich ermunterte sie mich, wegzugehen und mich unters Volk zu mischen.
Mit einem Mal hatte ich das Gefühl, dass sie andere Gründe für ihre Bitte hatte.
Ich blickte zu ihr auf und sah gerade noch, wie ein sonderbarer Ausdruck über ihr Gesicht huschte. Zweifel? Sorge?
Sie fing meinen fragenden Blick auf, ihre Miene veränderte sich und sie lächelte mich an. „Nicht, dass du deine eigene Party verpasst. Deine Freunde würden sich bedanken, wenn sie mit mir vorlieb nehmen

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