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Wo fehlt's Doktor?

Wo fehlt's Doktor?

Titel: Wo fehlt's Doktor? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Gordon
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Tuberkulose entdeckt zu haben, wären ihm nicht lästige Ausländer vom Schlage Robert Kochs zuvorgekommen. Und Sir Benjamin Bone - wie Sir Lancelot Chirurg - hätte bestimmt eine Berufung in den königlichen Hofstaat erhalten, wenn nicht seine lautstarke Herzlichkeit am Krankenbett der alten Queen auf die Nerven gegangen wäre.
    Da saß also der asketisch wirkende Lord Larrymore in vollem Ornat, mit griesgrämigem Gesicht und für immer ausgestreckter linker Hand, als wolle er quer über den Hof ein geheimnisvolles klinisches Problem mit Sir Benjamin erörtern. Tatsächlich hatten sie in den letzten zwanzig Jahren ihres Lebens kein Wort miteinander gewechselt - nach einem komplizierten Streit, dessen Anlaß sie und alle anderen längst vergessen hatten. Sie verkehrten miteinander mittels kurzer, frostig-höflicher Mitteilungen, die ein eigens dafür angestellter Spitalsdiener von einem zum andern trug. Sir Benjamin stand im langen Gehrock auf seinem Sockel, mit emporgerecktem Kinn, den spöttischen Blick auf den Totenschädel in seiner riesigen Hand gerichtet - einem alternden Hamlet gleich, der Schwierigkeiten hat, den Souffleur zu verstehen. Nur wenige von denen, die im Spital zu tun hatten, würdigten die beiden eines Blicks oder eines Gedankens. Die Tauben von London allerdings bedachten sie großzügig mit den Zeichen ihrer Aufmerksamkeit.
    Selbst das armselige Stückchen Rasen zwischen den zwei Statuen war nun verschwunden. Privatautos und Krankenwagen blockierten den geräumigen Platz, über den einst Fachärzte, von livrierten Bediensteten kutschiert, in ihren Ein- oder Zweispännern vorfuhren, nachdem ihre Patienten - etwas weniger spektakulär - von hilfsbereiten Nachbarn auf ausgehängten Fensterläden ins Spital verfrachtet worden waren.
    Der Dean hastete die steinerne Treppe zum spiegelverglasten Portal empor, betrat die Aula, nickte Harry, dem Portier in seinem Glasverschlag, einen flüchtigen Gutenmorgengruß zu und ging rasch durch den breiten, mit Plastik belegten Gang in sein Büro. Tag und Nacht war dieser Gang von geschäftigem Treiben erfüllt - von Ärzten, Studenten und Spitalsbediensteten, von Patienten auf Bahren und in Rollstühlen, von Sauerstoff-Flaschen, fahrbaren Speisenbehältern und von Handwägelchen, auf denen man alles, von Blutproben bis zu Morgenzeitungen, transportierte. Über allem hing unauslöschlich ein leichter Karbolgeruch, vermischt mit dem Aroma zu lange dünstenden Kohls; ein Duft, der in den alten Angehörigen von St. Swithin sehnsüchtige Erinnerungen weckte wie das Parfüm einer längst verlorenen ersten Liebe.
    Zu dem Zeitpunkt, als der Dean sein Büro betrat, saß Muriel, seine Tochter, knappe fünfzig Meter von ihm entfernt in der Bibliothek der medizinischen Hochschule. Zum zweiundzwanzigsten Mal an diesem Morgen sah sie auf ihre große Armbanduhr mit dem überdimensionierten Sekundenzeiger. Sie biß sich auf die Lippen und versuchte, ihre Ungeduld zu beherrschen. Noch war der Augenblick nicht gekommen. Sie mußte warten, sonst würde sie den sorgsam ausgeheckten Plan nicht erfolgreich ausführen können.
    In diesem letzten Jahr ihres Medizinstudiums verließ Muriel gewöhnlich frühmorgens vor ihrem Vater die Wohnung. Sie hielt sich gern in der Unfallstation auf und steckte ihre Nase gelegentlich in die Krankensäle, wo die Patienten angenehmerweise lang vor sechs Uhr geweckt und ärztlicher Betreuung unterzogen wurden. Muriel hoffte, auf interessante Fälle zu stoßen, bevor die anderen Studenten auf kreuzten. Manchmal verschwand sie auch in die von einem viktorianischen Bierbrauer gespendete Bibliothek mit reichgeschnitzter Holztäfelung, gewölbter Decke und fast undurchsichtigen Butzenscheiben - mit allem ausgestattet, was man sich seinerzeit als geeigneten Rahmen sowohl für Frömmigkeit und Rechtspflege wie auch für das Studium oder die ärztliche Betreuung der Armen vorgestellt hatte. Muriel saß in einem Erker, dessen Wände mit Bücherregalen ausgekleidet waren, an einem Tisch, auf dem gebundene Jahrgänge des British Medical Journal und der Lancet aufgestapelt lagen, vor sich den Band Die neuesten medizinischen Erkenntnisse und daneben ein Notizbuch. Heute morgen hatte sie weder irgendwelche Notizen gemacht noch ein Wort gelesen. Durch große metallgefaßte Brillengläser, wie sie der Dean trug, starrte sie auf die gedruckte Seite, mit Augen, die so abwesend waren wie die eines nervösen Patienten, der im Wartezimmer des Arztes in einer Illustrierten

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